Gesammelte Werke 6
seinem Krawattenknoten. Mein Gott, ist das ein Mistkerl, dachte er. Dieses Ekel, dieser Bandit, ein kaltschnäuziger Mörder! Und eine Stunde später wäscht er sich die Hände, parfümiert sich, malt sich aus, was die Obrigkeit dafür springen lässt, setzt sich zu mir an den Tisch und stößt mit mir an, lächelt mir zu, spricht mit mir wie mit einem Freund. Dieser Schuft heuchelt die ganze Zeit; mit hämischer Freude macht er sich über mich lustig, kichert sich ins Fäustchen, sobald ich mich abwende, zwinkert sich selbst zu und fragt mich im nächsten Augenblick mitfühlend, was mit meinem Kopf ist … Durch den schwarzen Nebel hindurch sah Viktor, wie Dr. Quadriga langsam den Kopf hob, den verkleisterten Mund zu einem unhörbaren Schrei aufriss und wie ein Blinder fieberhaft und mit zitternden Händen auf dem Tisch herumtastete. Auch seine Augen schienen wie blind, als er den Kopf hin und her drehte und schrie und schrie, Viktor aber hörte nichts … Er hat recht, ging es ihm durch den Kopf, ich bin doch nur ein Stück Dreck, ein kleiner Mann, den niemand braucht, in die Fresse mit dem Stiefel und an beiden Armen festgehalten, damit er sich das Gesicht nicht abwischen kann. Wer braucht mich schon? Er hätte kräftiger zuschlagen sollen, sodass ich nicht mehr hätte aufstehen können, ich aber war wie im Tran und hatte Wattefäuste. Mein Gott, wozu lebe ich überhaupt, wozu lebt der Mensch – es ist doch so leicht, ihm von hinten ein Stück Eisen über den Schädel zu schlagen, und nichts in der Welt ändert sich, im selben Augenblick wird tausend Kilometer entfernt ein neuer Bastard geboren … Golems fettes Gesicht wurde noch schlaffer, seine Bartstoppeln ließen es ganz schwarz erscheinen, sein Blick wurde verschwommen. Er lag in seinem Sessel wie ein Weinschlauch voll ranzigen Fetts, und nur seine Finger bewegten sich, als er langsam Glas auf Glas in die Hand nahm, lautlos den Stiel abbrach, das Glas fallen ließ, ein neues nahm, den Stiel abbrach, das Glas fallen ließ … Und ich liebe niemanden, auch Diana nicht – dass ich mit ihr schlafe, besagt gar nichts, dazu gehört ja nicht viel. Eine Frau, die dich nicht liebt, kannst du nicht lieben. Die Frau aber kann dich nicht lieben, wenn du sie nicht liebst – so dreht sich alles in einem Teufelskreis wie eine Schlange, die nach ihrem Schwanz schnappt. Die Menschen paaren sich wie die Tiere, um hernach wieder auseinanderzulaufen; nur dass die Tiere sich keine besonderen Worte ausdenken und keine Gedichte schreiben, sondern sich einfach paaren und wieder auseinandergehn … Und Teddy weinte, die Ellbogen auf dem Tresen, das harte Kinn auf den knochigen Fäusten, seine kahle Stirn leuchtete im Lampenschein safrangelb, und über seine eingefallenen Wangen rollten Tränen, und auch sie leuchteten im Lampenschein … Und das alles nur, weil ich kein Schriftsteller bin, sondern ein Stück Dreck. Was, zum Teufel, bin ich schon für ein Schriftsteller, wo ich das Schreiben nicht ausstehen kann, wo das Schreiben eine Qual für mich ist, ein beschämender, lästiger Vorgang, eine Art krankhafter Ausscheidung, wie Durchfall oder das Auspressen eines Furunkels. Ich hasse es und finde es schrecklich, dass ich es ein Leben lang tun muss, dass ich dazu verdammt bin, dass sie mich jetzt nicht mehr loslassen, sondern immerzu fordern werden: Schreib, schreib … Und ich werde schreiben, aber im Moment kann ich es nicht, mir wird übel, wenn ich bloß daran denke … Hinter Dr. Quadriga stand Bol-Kunaz – dünn, durchnässt, mit einem regennassen, frischen Gesicht. Mit wunderbaren dunklen Augen stand er da und sah auf die Uhr, und von ihm ging ein frischer Geruch aus, der die heiße, stickige Luft verdrängte, ein Geruch nach Gras und Quellwasser, nach Lilien, Sonne und Libellen, die sich über einem See tummeln …
Allmählich nahm er die Welt wieder wahr. Zurück blieb nur eine vage Erinnerung, ein Gefühl, oder die Erinnerung an ein Gefühl: ein verzweifelter, erstickter Aufschrei, ein unbegreifliches Knirschen, Knacken und Bersten von Glas … Viktor fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und griff nach der Flasche. Dr. Quadriga, der mit dem Kopf auf dem Tisch lag, murmelte heiser: »Ich brauche nichts. Versteck mich. Hol sie …« Golem fegte besorgt ein paar Scherben vom Tisch.
Bol-Kunaz sagte: »Entschuldigen Sie, Herr Golem, hier ist ein Brief für Sie.« Er legte einen Umschlag vor Golem hin und sah wieder auf die Uhr. »Guten Abend, Herr Banew«, grüßte
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