Gesammelte Werke 6
Hygieneinspektor. Das war’s auch schon, was ich Ihnen sagen wollte.« Viktor stand auf, aber der Hochgewachsene rührte sich nicht.
»Nehmen wir an, das stimmt«, wiederholte er. »Woher wissen Sie das alles?«
»Spielt das eine Rolle?«, fragte Viktor.
Der Hochgewachsene überlegte eine Weile.
»Nehmen wir an, es spielt keine Rolle«, erwiderte er.
»Die Informationen nachzuprüfen ist Ihre Sache«, sagte Viktor. »Mehr weiß ich auch nicht. Auf Wiedersehen.«
»Wo wollen Sie denn hin, warten Sie«, rief der Mann. Er beugte sich über den Toilettentisch und entnahm ihm eine Flasche und ein Glas. »Erst wollten Sie unbedingt rein, und jetzt wollen Sie unbedingt gehen. Macht es Ihnen etwas aus, wenn wir aus einem Glas trinken?«
»Kommt darauf an, was«, antwortete Viktor und setzte sich wieder.
»Schottischen«, sagte der Hochgewachsene. »Einverstanden?«
»Echten schottischen?«
»Echten Scotch. Bitte.« Er reichte Viktor das Glas.
»Sie leben nicht schlecht«, meinte Viktor und trank.
»Mit einem Schriftsteller können wir uns nicht messen«, wandte der Hochgewachsene ein und trank ebenfalls. »Trotzdem sollten Sie ein bisschen deutlicher werden …«
»Geben Sie sich keine Mühe«, sagte Viktor. »Schließlich werden Sie dafür bezahlt. Ich habe Ihnen einen Namen genannt, die Adresse kennen Sie selbst, also kümmern Sie sich um alles Weitere. Zumal ich wirklich nicht mehr weiß. Höchstens, dass …« Viktor stockte und tat so, als sei ihm die Idee eben erst gekommen. Der Hochgewachsene biss sofort an.
»Ja?«, sagte er. »Dass?«
»Ich weiß, dass er zusammen mit den Städtischen Legionären einen Nässling gekidnappt hat. Wie war doch gleich der Name: Flamenta … Juventa …«
»Flamin Juventa«, half ihm der Hochgewachsene weiter.
»Genau.«
»Das mit dem Nässling wissen Sie mit Sicherheit?«, erkundigte sich der Hochgewachsene.
»Ja. Als ich versuchte, ihn daran zu hindern, gab mir der Herr Hygieneinspektor eins mit dem Schlagring über den Schädel. Und ehe ich wieder zu mir kam, schafften sie den Nässling mit dem Wagen weg.«
»Soso«, überlegte der Hochgewachsene. »Summan war das also. Hören Sie, Banew, Sie sind schwer in Ordnung! Wollen Sie noch einen Whisky?«
»Gern«, antwortete Viktor. So gut er sich auch zuredete und sich die Notwendigkeit vor Augen hielt – das Ganze war und blieb ihm zuwider. Gut, dachte er, ich muss froh sein, dass ich wenigstens nicht zum Denunzianten tauge. Es macht keinen Spaß, auch wenn sie sich jetzt gegenseitig an die Gurgel gehen. Golem hat recht: Ich hätte mich nicht einmischen sollen … Oder ist Golem raffinierter, als ich dachte?
»Bitte«, sagte der Hochgewachsene und reichte ihm ein vol les Glas.
7
Felix Sorokin | »Elital«
In dieser Nacht schlief ich gut und träumte einen Namen: Katja. Nur den Namen, weiter nichts. Albträume hatte ich keine.
Ich wachte spät auf und beschloss, in der »Perlmuschel« zu frühstücken. Das ist eine Gaststätte in unserem Neubaugebiet, direkt gegenüber dem Kreis-Pionierhaus. Von außen sieht die »Perlmuschel« ziemlich seltsam aus. Am ehesten erinnert sie an einen weißfinnischen Bunker vom Typ »Million« – nachdem ihn eine Tausendkilobombe getroffen hat: Durch dröge graue Betonblöcke, die krumm und schief aufragen, schlängelt sich rostiges Eisengeflecht, das nach den Vorstellungen des Architekten Wasserpflanzen darstellen soll; in Höhe des Bürgersteigs liegen schießschartenschmale Fenster. Innen aber ist die Gaststätte durchaus anständig, ohne Raffinessen: Vorhalle mit Garderobe und dahinter ein gastfreundlicher, gut beleuchteter runder Saal; Bier haben sie dort immer im Angebot, dazu die üblichen kalten Spei sen. Und als warme Mahlzeiten: Bœuf Stroganoff und Fleisch topf nach Art des Hauses; Krebse sind mir dort allerdings noch nie untergekommen. Ab und zu frühstücke ich dort – wenn ich die gekochten Eier und meinen Fruchtkefir überhabe.
Als ich ankam, machten sie gerade auf, ich legte hastig ab und eroberte ein Tischchen an der Wand, unterhalb des Fensters. Der Kellner, ebenso dreist wie verschlafen und mürrisch, brachte mir ein Glas Bier und nahm meine Bestellung auf: Fleischtopf nach Art des Hauses. Ringsum wurde laut geredet und geraucht. Auf nüchternen Magen.
An meinen Tisch setzte sich niemand, obwohl der Platz mir gegenüber frei war. Einerseits war das hervorragend. Ich kann dieses Geplapper mit fremden Leuten nämlich nicht ausstehen! Andererseits kam mir
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