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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
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verletzte Bein vorgestreckt, setzte er sich neben mich. Ihm machte das alles nichts aus. Ohne sich mit Kleinigkeiten wie einem zerfetzten Ohr, einem ausgerenkten Arm oder einem verstauchten Knöchel aufzuhalten, flunkerte er mir bereits vor, man habe ihn gestern ins Staatliche Komitee für Verlagswesen beordert und ihm angeboten, eine zweibändige Geschenkausgabe zu veröffentlichen. Illustriert würde sie von den Kukryniksys, und für die Herstellung hätte sich eine Druckerei in Leipzig anerboten.
    Als ich das von Leipzig hörte, schielte ich unwillkürlich nach rechts. Zum Glück war Eiterpickel nicht mehr da.
    »Und was hast du da?«, schrie Petenka plötzlich und riss mir die Mappe aus der Hand. »Ah! Du befasst dich also auch mit Musik!«, staunte er, als er die Noten sah. »Lass die Finger davon, rate ich dir. Es lohnt nicht.« Er gab mir die Mappe zurück. »Ich dagegen habe jetzt … War wirklich selber verwundert. Einen wahnsinnigen Index habe ich gerade bekommen. Einfach verrückt. Dieser Typ hat mein Manuskript behalten. ›Das kriegen Sie nicht wieder‹, sagt er zu mir. ›Wir nehmen es als Maßstab.‹ Ich sage: ›Wieso Maßstab, das habe ich bloß zwischendurch geschrieben, ein Zufallsauftrag.‹ Und er antwortet: ›Für Sie ist es ein Zufallsauftrag und für uns der Maßstab.‹ … Nein, Felix, diese Maschine legst du nicht rein!«
    Wieder öffnete sich die Tür unter der Ampel, und Eiterpickel kam in den Flur zurück. Nachdem er über die Schwelle getreten war, schloss er fest die Tür hinter sich und blieb stehen. Einige Sekunden stand er so da, stützte sich mit der einen Hand gegen die Wand und presste mit der anderen seine Schreibmappe an sich. Sein Gesicht war grün, wie das einer Leiche, die allmählich verfault, der Mund zerquält und halb offen, die Augen quollen hervor.
    »Wie ist das möglich?«, zischte er – übrigens sehr deut lich. »Wie kann das sein? Ich habe doch mit eigenen Augen …«
    Er schwankte, Petenka und ich stürzten zu ihm, um ihn zu stützen. Doch er wies uns mit der Hand, in der die Mappe lag, zurück.
    »Ich habe doch persönlich …«, kreischte er, wobei er in den Raum zwischen uns starrte. »Persönlich … selbst!«
    »Ist doch nicht so wichtig«, meinte Petenka munter und legte dem Alten den Arm, in der er den Stock hielt, um die Taille. »Ist doch nichts Besonderes. So was hat’s früher schon gegeben und wird es auch in Zukunft geben, Methodi Kirilytsch …«
    »Wissen Sie überhaupt, was Sie da reden?«, fragte Methodi Kirilytsch, fast schon verzweifelt. »Womöglich waren das die Posaunen des Jüngsten Gerichts?«
    »Aber nein«, widersprach Petenka. »Das kann ich Ihnen versichern. Hier gibt es keine Posaunen und nichts aus Messing, abgesehen von den Türklinken. Kommen Sie, wir setzen uns, Methodi Kirilytsch, und ruhen ein wenig aus …«
    »Persönlich!«, schnarrte der Alte, während er sich gehorsam auf einen Stuhl sinken ließ. »Und danach habe ich es selbst gelesen …«
    »Sie haben die Zeilen gelesen, Methodi Kirilytsch, hätten sich aber auf das dazwischen konzentrieren müssen«, erklärte Petenka und blinzelte mir unverfroren zu. »Da stand offensichtlich etwas zwischen den Zeilen, und Sie haben es nicht bemerkt. Da hat die Maschine Sie eben erwischt …«
    »Wieso zwischen den Zeilen? Was für eine Maschine? Verstehen Sie überhaupt, wovon ich rede, junger Mann?«
    Mir war das alles peinlich und zuwider. Ich wandte mich ab und bemerkte im selben Augenblick, dass auf der Ampel »Bitte eintreten« aufleuchtete. Wie ein Schlafwandler erhob ich mich von meinem Platz und folgte der Einladung.
    Ich war früher schon in Rechenzentren gewesen, deshalb erregten die grauen, primitiven Schränke, die Anzeigefelder mit den flimmernden Signallämpchen und die verschiedenen Bildschirme in dem großen, hell erleuchteten Zimmer keine größere Aufmerksamkeit bei mir. Viel seltsamer und interessanter erschien mir der Mann, der an einem Tisch saß, auf dem sich Endlospapier und Mappen häuften. Dem Anschein nach war er in meinem Alter, hager, und er hatte rotblondes, etwas schütteres Haar. In seinen Gesichtszügen lag nichts Ungewöhnliches, und doch schienen sie mir ir gendwie bedeutsam. Etwas in diesem Gesicht ließ aufmerken, man hatte plötzlich das Bedürfnis, sich innerlich zu straffen und knapp, gebildet und ernsthaft zu sprechen. Der Mann trug einen blauen Laborkittel über dem grauen Anzug, sein Hemd war weiß und der Schlips unauffällig und

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