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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
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Jefimowitsch gewesen? Und wann war er ihm nähergekommen? Anatoli Jefimowitsch war, im Gegensatz zur überwiegenden Mehrheit meiner Kollegen, äußerst verschlossen gewesen, ich würde sogar sagen, menschenscheu. Die Sitzungen hatte er geschwänzt, selbst die wichtigsten. Gesellschaften hatte er nicht besucht und in seinem Haus, Gott bewahre, auch keine veranstaltet. Im Klub war er fast nie aufgetaucht; er mochte keinen Alkohol, eher guten Tee, den er eigenhändig zu Hause zubereitete. Freunde waren ihm praktisch nicht geblieben: Die einen waren noch vor dem Krieg umgekommen, andere im Krieg gefallen, und wieder andere hatten, wie er es einmal ausdrückte,»das gute Teil erwählt«. Im Grunde war er einsam gewesen, und ich hatte das jedes Mal gefühlt, wenn mein Blick in die Ecke seines Arbeitszimmers wanderte, auf den Haufen ungeöffneter Päckchen mit den Belegen der zahlreichen Nachauflagen seiner Trilogie. Diese war mit allen nur erdenklichen Lorbeeren bedacht worden, und er hatte nicht einmal die Belegexemplare verschenkt, weil es niemanden gab, dem er sie hätte schenken können.
    Eigentlich hatte er in seiner Wohnung außer mir nur noch sieben weitere Freunde empfangen. Ich kannte sie alle und war mir sicher, dass keiner von ihnen je etwas über sein Stück »Elital« gehört hatte. Mein neuer Bekannter dagegen wusste nicht nur von der Komödie, sondern hatte sie offenbar auch gelesen! Sonderbar … Vielleicht hatten sie sich früher, lange vor meiner Zeit, nahegestanden und dann zerstritten? Aber er war doch ungefähr in meinem Alter, ja könnte Anatoli Jefimowitschs Sohn sein – wann also hätten sie sich da kennengelernt haben sollen?
    Ich konnte mir die Sache nicht erklären. Allerdings verschwanden alle Gedanken schlagartig aus meinem Kopf, als ich direkt vor unserem Haus ausrutschte, eine fantastische Pirouette drehte und auf die Seite fiel, wobei ich auch noch eine des Weges kommende Dame mit Hündchen umriss.
    Sechs Leute liefen herbei, um uns aufzuhelfen, und es gab ein kräftiges Ächzen und Schnaufen, ermunternde Ausrufe und fragwürdiges Lamentieren, dass bei uns das Recht auf Arbeit offenbar nicht das Recht auf das Streuen der Gehwege einschließe. Am meisten hatte, wie mir schien, das Hündchen gelitten, dem man im Getümmel auf ein Pfötchen getreten war, aber auch ich hatte mich böse verletzt. Ich stand da, presste die Hand auf die Seite und versuchte Luft zu holen, während man um mich herum darüber schwatzte, dass es so etwas in Moskau winters noch nie gegeben habe … diese Unordnung … Weltuntergang … das Jüngste Gericht …
    Nachdem ich zu Atem gekommen war, bedankte ich mich mühsam bei meinen Rettern und entschuldigte mich bei der unglücklichen Dame und ihrem Hündchen. Wir gingen auseinander, und ich humpelte zu der schwarz gefliesten Treppe in unserem Hauseingang.
    Die Gedanken an den Weltuntergang, die im Chor der entrüsteten Fürsprecher des Rechts auf Arbeit für die Hausmeister angeklungen waren, brachten mich auf etwas … Ich erinnerte mich wieder an den gefallenen Engel, seine komischen Noten und – einer natürlichen Assoziation folgend – an die Worte meines neuen Bekannten. »Ich würde Ihnen nicht raten, diese Partitur mit sich herumzutragen. Da könnte wer weiß was passieren …« Ja, und was? Was waren das für Noten, mit denen ich nicht durch die Straßen spazieren sollte?»Gott schütze den Zaren«? Oder das Horst-Wessel-Lied? Dazu fiel mir nichts ein – außer der unglaubhaften, dafür aber alles erklärenden Vermutung, es handle sich dabei tatsächlich um die Partitur der Posaunen des Jüngsten Gerichts.
    Aber was das anbetraf, wusste ich zumindest, an wen ich mich wenden konnte. Ich fuhr also nicht bis zum fünfzehnten Stock hinauf, sondern stieg im fünften aus. Hier wohnte und arbeitete in einer Vierzimmerwohnung der populäre Liedermacher und Sänger Georgi Luarssabowitsch Tschatschua, ein gastfreundlicher Mensch, Genießer und maßloses Arbeitstier, mit dem ich mich fast schon seit dem Einzug in unser Haus duzte.
    Hinter der kunstlederbezogenen Tür dröhnte der Flügel und jubilierte eine wunderschöne Frauenstimme. Wie es schien, arbeitete Tschatschua. Ich zögerte, doch da donnerte eine Lachsalve los. Das Klavier verstummte, die Stimme ebenfalls. Tschatschua arbeitete wohl doch nicht. Ich drückte auf den Klingelknopf. Im selben Moment setzte das Klavier wieder ein, und aus mehreren Männerkehlen erscholl ein georgisches Lied. Nein, Tschatschua

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