Gesammelte Werke 6
alle Schränke zusammen das ›Elital‹? Stimmt es, wenn bei uns erzählt wird, Sie stellten das Maß unseres Talents fest?«
Diesmal lächelte er nicht einmal.
»Natürlich nicht«, antwortete er. »Das heißt, in gewissem Sinne schon. Aber im Allgemeinen befassen wir uns mit ganz anderen Problemen, sehr speziellen, die sich am ehesten der Linguistik zuordnen lassen … oder, genauer, der Soziolinguistik.«
Ich fragte, ob man ihn so verstehen solle, dass diese Schränke zwar das Maß meines Talents bestimmen könnten, jetzt aller dings für eine andere Aufgabe eingerichtet seien? Er erwiderte, in einem gewissem Sinne sei es so. Daraufhin erkundigte ich mich – nicht ohne Bosheit –, wie sie denn das Talent bewerteten: mit fünf Noten, wie in der Schule, oder nach der Zwölfpunkteskala, wie bei Erdbeben? Er meinte, es wäre naiv anzunehmen, eine so komplizierte soziopsychologische Erscheinung wie das Talent ließe sich in solch groben Werten ausdrücken. Das Talent sei eine spezifische Erscheinung, und für seine Bewertung brauche man spezifische Maßeinheiten.
»Übrigens«, erklärte er, »wird es wohl einfacher sein, Ihnen zu zeigen, wie der Computer arbeitet. Die Werte, die er liefert, haben zwar nur eine mittelbare Beziehung zum Talent, aber immerhin. Hier, nehmen wir diese Seite, Ihre Rezension zu einer Erzählung mit dem Titel ›Die Geburt des Täubchens‹. Was das für eine Erzählung ist, kann man schon aus dem Titel schließen … Doch der Computer wird sich nicht mit der Erzählung, sondern mit Ihrer Rezension befassen, Felix Alexandrowitsch.«
Nur mit Mühe löste er die rostige Büroklammer von meinem Stapel, nahm das oberste Blatt und legte es in einen flachen Kasten in der Größe eines A4-Blattes. Dann schob er den Kasten in eine Aussparung, legte lässig ein paar Hebel auf dem Pult um und drückte mit dem Zeigefinger auf eine rote Taste, in der ein Lämpchen glimmte. Das Lämpchen erlosch; dafür begannen nun zahlreiche Lämpchen auf einer vertikalen Schalttafel zu flimmern und hin und her zu rasen, und auch die beiden großen Bildschirme seitlich des Anzeige feldes lebten auf: Kurven schlängelten sich, Ziffern sprangen, allerlei Klystrone, Kenotrone und andere elektronische Innereien knackten und wimmerten. Das Zeitalter der wissenschaftlich-technischen Revolution …
Das alles dauerte etwa eine halbe Minute. Dann verstummte das Surren, und auf dem Anzeigefeld und den Bildschirmen kehrte wieder Ruhe und Ordnung ein. Jetzt leuchteten dort zwei klare Kurven und eine Unmenge verschiedenartiger Zahlen.
»Das wär’s«, sagte der Mann, zog das Kästchen heraus und legte das Blatt zurück in meine Mappe.
Noch ehe ich den Mund aufmachen konnte, erklärte er mir, dass die Zahlen die Entropie meines Textes darstellten; diese dort charakterisierten etwas, das man lange erklären müsste, und jene Kurve sei der aufgerundete Koeffizient von etwas, was ich nicht verstand; das wiederum zeige die Distribution von etwas, was ich verstand und mir sogar einzuprägen versuchte, aber trotzdem sogleich wieder vergaß.
»Beachten Sie diese Ziffer«, forderte er mich auf und klopfte mit dem Finger auf eine Vier, die einsam in der rechten unteren Ecke des Zahlenmonitors angezeigt wurde. »Ihre Kollegen sind – warum auch immer – überzeugt davon, gerade dies sei der berüchtigte ›objektive Wert‹ beziehungsweise der ›Index der Genialität‹, wie ihn dieser seltsame Mensch mit der Binde nennt.«
»Der Allunionsdrops«, murmelte ich automatisch.
»Möglich. Heute hat er sich übrigens Kosluchin genannt; er war schon öfter hier, jedes Mal mit einem anderen Manuskript und unter anderem Namen. Er bezeichnet diese Zahl hartnäckig als ›Index der Genialität‹ und meint, je höher sie sei, desto genialer der Autor …«
Dann erzählte er, wie er, um Petenka Skorobogatow eines Besseren zu belehren, aus irgendeiner Zeitung, die zufällig auf seinem Tisch gelegen sei, eine Glosse über Gauner im Handel herausgerissen und der Maschine eingegeben habe. Daraufhin sei eine siebenstellige Zahl angezeigt worden. Und obwohl mit bloßem Auge erkennbar gewesen sei, dass der Artikel hoffnungslos weit von jeglicher Genialität entfernt war, habe Petenka Skorobogatow seine Überzeugung keineswegs geändert, sondern ihm nur listig zugeblinzelt und den Zeitungsausschnitt in sein bereits angeschwollenes Notizbuch gelegt.
»Und was hat sie nun angezeigt, die siebenstellige Ziffer?«, fragte ich
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