Gesammelte Werke 6
Fensterchen und spazierte zwischen den mehr als sauberen Arbeitstischen auf und ab. Auf den Tischen blitzten nagelneue Tintenfässer, die jedoch überquollen vor Zigarettenkippen – eine merkwürdige Abteilung war das. Ihre Devise lautete: »Die Erkenntnis des Unendlichen erfordert unendlich viel Zeit.« Dagegen wäre nichts einzuwenden gewesen, wenn die Mitarbeiter daraus nicht den überraschenden Schluss gezogen hätten: »Ob du arbeitest oder nicht – es macht sowieso keinen Unterschied.« Auch um die Entropie des Universums nicht noch weiter zu beschleunigen, arbeiteten sie nicht. Jedenfalls die meisten von ihnen. »En masse«, wie Wybegallo gesagt hätte. Im Grunde genommen brauchten sie nur die Kurve der relativen Erkenntnis im Bereich ihrer asymptotischen Annäherung an die absolute Wahrheit zu analysieren. Deshalb war die eine Hälfte der Mitarbeiter pausenlos damit beschäftigt, mithilfe von Mercedes-Rechnern null durch null zu dividieren, während die andere Hälfte Dienstreisen in die Unendlichkeit unternahm. Von diesen Dienstreisen pflegten alle fidel und wohlgenährt zurückzukehren, um aus gesundheitlichen Gründen anschließend wieder Urlaub zu nehmen. Zwischen den Dienstreisen schlichen sie von Abteilung zu Abteilung, hockten mit qualmender Zigarette auf Schreibtischen und machten Witze über die Entdeckung des Unbestimmbaren nach der Lhopital-Methode. Man erkannte sie am leeren Blick und an den vom vielen Rasieren zerschabten Ohren. In dem halben Jahr, in dem ich am Institut arbeitete, hatten sie dem Aldan eine einzige Aufgabe gestellt; diese war ebenfalls darauf hinausgelaufen, null durch null zu dividieren, und hatte keinerlei absolute Wahrheit enthalten. Mag sein, dass der eine oder andere von ihnen auch einmal etwas Vernünftiges tat, aber mir war davon nichts bekannt.
Um halb elf erreichte ich die Etage von Amwrossi Ambrosjewitsch Wybegallo. Ich hielt mir ein Taschentuch vor die Nase, bemühte mich, durch den Mund zu atmen, und ging geradewegs in das Labor, das unter den Mitarbeitern als »Gebärstation« bekannt war. Hier wuchsen, so behauptete Professor Wybegallo, in Glaskolben Modelle des idealen Menschen heran. Tjä, also: Hier schlüpften sie. Comprenez-vous?
Im Labor war es stickig und dunkel. Ich schaltete das Licht ein, das auf glatte graue Wände fiel, an denen je ein Porträt von Äskulap, Paracelsus und Wybegallo selbst hingen. Wybegallo war mit einer schwarzen Kappe auf edel wallendem Lockenhaar abgebildet, und an seiner Brust prangte eine undefinierbare Medaille. An der vierten Wand hatte früher offensichtlich auch ein Porträt gehangen, doch davon waren nur noch ein dunkles Quadrat und drei rostige verbogene Nägel übrig.
Ein Autoklav stand mitten im Labor, ein zweiter, größerer, in einer Ecke. Um den mittleren Autoklav herum lagen ein paar Brotlaibe auf dem Fußboden, daneben standen verzinkte Eimer mit bläulicher Magermilch und ein großer Bottich mit gedämpfter Kleie. Dem Gestank nach zu urteilen waren auch die Heringsköpfe nicht weit. Im Labor herrschte Stille; aus dem Autoklav hingegen drang ein rhythmisches Knacken.
Aus unerfindlichen Gründen schlich ich auf Zehenspitzen zu dem mittleren Autoklav und lugte durch die Sichtscheibe. Und obwohl nichts Besonderes zu sehen war, wurde mir – wohl schon mürbe vom Gestank – speiübel: Im grünlichen Halbdunkel waberte etwas Weißes, Unförmiges. Ich schaltete das Licht aus, verließ das Labor und schloss sorgfältig die Tür hinter mir ab. Gib ihm eins auf die Rübe, hörte ich Wybegallo sagen. Eine dunkle Ahnung überkam mich. Erst jetzt sah ich den um die Schwelle gezogenen Zauberkreis mit den krummen und schiefen Geheimzeichen. Bei genauem Hinsehen erkannte ich, dass es ein Bannspruch gegen Gallu war, den ewig hungrigen Dämon der Unterwelt.
Mit einem Gefühl der Erleichterung verließ ich Wybegallos Reich und stieg in den fünften Stock hinauf, wo sich Gian Giacomo und seine Mitarbeiter mit Theorie und Praxis der Universellen Transformation befassten. Auf dem Treppenabsatz hing ein farbiges Plakat mit einem Vers, der zur Schaffung einer öffentlichen Bibliothek aufrief. Die Idee stammte vom Gewerkschaftskomitee, der Vers von mir:
Frag bei Onkel und bei Tanten,
such im Keller und im Schrank,
spende Bücher und Folianten,
und du erntest heißen Dank.
Ich errötete und ging weiter. Im fünften Stock angekommen, fiel mir sofort auf, dass die Tür zu Vitka Kornejews Labor offen stand. Ich hörte einen heiseren
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