Gesammelte Werke 6
im Voraus für seinen Scharfsinn und seinen Mut.«
Offenbar brauchten alle eine gewisse Zeit, um diese Entscheidung zu verdauen. Mir ging es jedenfalls so. Janus Poluektowitsch hatte eine sonderbare Art, seine Gedanken darzulegen. Da er das Geschehen aber besser überblickte als andere, gestand jeder ihm dies gerne zu. Es hatte schon früher Vorfälle gegeben, wo er …
»Ich besorge einen Wagen«, sagte Roman plötzlich, stand auf und ging – anscheinend durch die Wand, denn durchs Vorzimmer kam er nicht.
Fjodor Simeonowitsch und Cristóbal Junta nickten wohl gerade zustimmend, als Wybegallo nach einer kurzen Denkpause losbrüllte: »Eine richtige Entscheidung, Janus Poluektowitsch! Sie haben uns rechtzeitig an die gebotene Wachsamkeit erinnert. Wir brauchen keine Zuschauer! Weg mit ihnen! Aber ohne Transportgehilfen wird es nicht gehen. Der Autoklav ist schwer, tjä, also, er wiegt fünf Tonnen.«
»Natürlich«, erwiderte Janus Poluektowitsch. »Veranlassen Sie alles Nötige.«
Im Arbeitszimmer wurden Stühle gerückt, und ich trank hastig meinen Kaffee aus.
Die folgende Stunde verbrachte ich zusammen mit allen noch im Institut verbliebenen Kollegen an der Eingangstür, wo ich dabei zusah, wie der Autoklav, die Scherenfernrohre, die Schutzschilde und für alle Fälle auch ein paar Bauernmäntel verladen wurden. Das Schneetreiben hatte nachgelassen, der Morgen war frostig und klar.
Roman hatte einen Lastwagen mit Gleiskettenantrieb beschafft. Der Vampir Alfred führte die als Lastenträger bestens geeigneten Hekatoncheiren herbei. Gyes und Kottos waren eifrig bei der Sache, krakeelten munter aus hundert Kehlen und krempelten sich im Gehen die vielen Ärmel hoch, während Briareos lustlos hinter ihnen hertrottete, seinen krummen Finger hochhielt und quengelte, dass er ihm weh tue, dass sich ihm ein paar Köpfe drehten und er in der Nacht kein Auge habe zutun können. Kottos trug den Autoklav – und Gyes alles andere. Als Briareos sah, dass es für ihn nichts mehr zu tun gab, traf er Anordnungen, gab Hinweise und erteilte Ratschläge. Er lief vornweg, hielt den beiden die Türen auf, kauerte sich von Zeit zu Zeit auf den Boden, um sich die Sache von unten anzusehen, und rief: »Ist noch Luft!« oder »Mehr nach rechts, sonst eckt ihr an!« Das Ganze endete damit, dass sie ihm auf die Hand traten und ihn zwischen dem Autoklav und der Wand einklemmten. Daraufhin stimmte er ein Wehgeschrei an, und Alfred brachte ihn ins Vivarium zurück.
Alles, was Beine hatte, drängte sich in den Lastwagen hinein. Wybegallo kletterte vorn ins Fahrerhaus. Er war verstimmt und fragte alle Augenblicke nach der Uhrzeit. Der Lastwagen fuhr ab, kam aber schon nach fünf Minuten zurück, weil man die Korrespondenten vergessen hatte. Während alles nach ihnen suchte, veranstalteten Kottos und Gyes, um sich aufzuwärmen, eine Schneeballschlacht und zerschlugen dabei zwei Fensterscheiben. Dann prügelte sich Gyes mit einem frühen Zecher, der in einem fort rief: »Alle auf einen, was?« Die Leute zerrten Gyes von dem Mann weg und schoben ihn in den Wagenkasten. Dort rollte er fürchterlich mit den Augen und fluchte auf Altgriechisch. Dann tauchten die völlig verschlafenen Korrespondenten G. Scharfblick und B. Zucht auf, und der Lastwagen fuhr endlich ab.
Im Institut wurde es still, und die Stadt schlief noch. Es war halb neun. Ich wäre zwar für mein Leben gern mit den anderen mitgefahren, aber das war unmöglich. Ich seufzte und trat meinen zweiten Rundgang an.
Gähnend trabte ich durch die Korridore und löschte überall das Licht, bis ich zu Vitka Kornejews Labor kam. Wybegallos Experimente interessierten Vitka nicht. Er pflegte zu sagen, Leute wie Wybegallo solle man gnadenlos Cristóbal Junta als Versuchskaninchen überlassen – zur Klärung der Frage, ob es sich bei ihnen nicht doch um Letalmutanten handele. Daher war Vitka nicht mitgefahren. Er saß auf dem Translations-Kanapee, rauchte eine Zigarette und schwatzte mit Edik Amperjan. Edik lag neben ihm, starrte nachdenklich zur Decke und lutschte ein Fruchtbonbon. In der Wanne auf dem Tisch schwamm munter ein Barsch.
»Gutes neues Jahr!«, rief ich.
»Gutes neues Jahr!«, erwiderte Edik freundlich.
»Mal hören, was Sascha dazu meint«, schlug Vitka vor. »Sascha, gibt es eiweißfremdes Leben?«
»Keine Ahnung«, antwortete ich. »Ich habe noch keins gesehen. Wieso?«
»Was heißt: Ich habe noch keins gesehen? Ein M-Feld hast du auch noch nicht gesehen, und trotzdem
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