Gesammelte Werke 6

Ameise erreicht. Während ich dem Streit zwischen dem An thropozentristen und dem Kosmozentristen zuhörte, kam mir eine Idee:
    »Kinder«, rief ich mit aufgesetzter Munterkeit. »Warum seid ihr eigentlich nicht auf dem Versuchsgelände?«
    »Was sollen wir denn da?«, wollte Edik wissen.
    »Immerhin wär’s doch ganz interessant.«
    »Ich gehe nie in den Zirkus«, sagte Edik. »Und außerdem: Ubi nihil vales, ibi nihil velis. «
    »Sprichst du von dir?«, fragte Vitka.
    »Nein, von Wybegallo.«
    »Jungs, ich gehe für mein Leben gern in den Zirkus«, sagte ich. »Ist’s euch nicht egal, wo ihr euch Witze erzählt?«
    »Wie meinst du das?«, wollte Vitka wissen.
    »Wenn ihr meinen Dienst übernehmt, könnte ich mich mal auf dem Versuchsgelände umsehen.«
    »Da ist es kalt«, gab Vitka zu bedenken. »Und sehr frostig. Zudem: Wybegallo.«
    »Ich würde es mir zu gern ansehen«, erklärte ich. »Das ist alles so geheimnisvoll.«
    »Lassen wir das Bürschchen ziehen?«, wandte sich Vitka an Edik.
    Edik nickte.
    »Sie können gehen, Priwalow«, sagte Vitka. »Aber das kos tet Sie vier Stunden Rechnerzeit.«
    »Zwei«, entgegnete ich rasch. So etwas hatte ich schon erwartet.
    »Fünf«, schacherte Vitka unverfroren.
    »Also gut, drei«, schlug ich vor. »Dabei arbeite ich sowieso ständig für dich.«
    »Sechs«, pokerte Vitka kühl.
    »Vitka«, mahnte Edik. »Dir werden noch Haare auf den Ohren wachsen.«
    »Und zwar rote«, fügte ich schadenfroh hinzu. »Vielleicht sogar mit grünlichem Schimmer.«
    »Schon gut«, willigte Vitka ein. »Geschenkt. Zwei Stunden tun’s auch.«
    Wir marschierten gemeinsam zum Vorzimmer. Unterwegs brachen die beiden Magister einen unverständlichen Streit über Zyklotation vom Zaun, und ich musste sie unterbrechen, damit sie mich aufs Versuchsgelände transgredierten. Sie hatten längst genug von mir, und um mich loszuwerden, betrieben sie die Transgression so energisch, dass ich nicht mehr dazu kam, mir etwas überzuziehen, und rücklings in die Zuschauermenge flog.
    Auf dem Versuchsgelände stand schon alles bereit. Das Publikum suchte hinter Schutzschilden Deckung. Wybegallo hockte in einem frisch ausgehobenen Graben und blickte unerschrocken durch ein großes Scherenfernrohr. Fjodor Simeonowitsch und Cristóbal Junta hielten Binoktare mit vierzigfacher Vergrößerung in Händen und unterhielten sich leise auf Lateinisch. Janus Poluektowitsch stand, in einen volumniösen Pelz gehüllt, gleichmütig daneben und bohrte mit dem Spazierstock im Schnee. B. Zucht hockte mit aufgeschlagenem Notizbuch und gezücktem Kugelschreiber neben dem Graben. G. Scharfblick, der mit Foto- und Filmkameras behängt war, stand hinter ihm, rieb sich ächzend die froststarren Wangen und schlug die Füße gegeneinander.
    Der Himmel war klar, und der Vollmond neigte sich gen Westen. Zwischen den Sternen zuckten hin und wieder die blassen Strahlen eines Polarlichts auf. Der Schnee in der Ebene glitzerte, und der große, zylindrisch geformte Autoklav war in hundert Metern Entfernung deutlich zu erkennen.
    Wybegallo riss sich vom Scherenfernrohr los, räusperte sich und sagte: »Kollegen! Kol-le-gen! Was beobachten wir durch dieses Fernrohr? Durch dieses Fernrohr beobachten wir – mit angehaltenem Atem und von großen Gefühlen überwältigt –, wie sich die Schutzkappe automatisch abschraubt … Schreiben Sie, schreiben Sie«, sagte er zu B. Zucht. »Schreiben Sie alles genau auf. Also: Die Schutzkappe schraubt sich automatisch ab. In wenigen Minuten wird es unter uns einen idealen Menschen geben, also: einen Chevalier sans peur et sans reproche . Er ist unser Vorbild, unser Symbol und wahr gewordener Traum! Und so sollten wir ihm, diesem Giganten des Wollens und Könnens, auch begegnen: ohne Diskussion, Gezänk und Streiterei. Unser Gigant soll uns so sehen, wie wir wirklich sind: in Reih und Glied, als geschlossene Truppe. Wer noch Fehler hat, verstecke sie, und dann strecken wir unserem Ideal die Hände entgegen.«
    Ich sah mit bloßem Auge, wie sich der Deckel des Autoklavs losschraubte und lautlos in den Schnee fiel. Aus der Öffnung schoss ein Dampfstrahl bis hinauf zu den Sternen.
    »Erläuterung für die Presse«, setzte Wybegallo an. Da aber ertönte ein fürchterliches Tosen.
    Die Erde unter unseren Füßen schwankte. Eine riesige Schneewolke wirbelte hoch. Alle purzelten durcheinander, und auch mich riss es davon. Das Tosen wurde immer lauter, und als ich mich, an die Raupenketten des Lastwagens