Gesammelte Werke 6
Prozent aller Tage im Jahr beginnen auf dieselbe Art und Weise: Der Wecker klingelt. Und dieses Klingeln mischt sich mal als krampfhaftes Rattern eines Summenlochers in die Träume, mal als zornig grollender Bass Fjodor Simeonowitschs und mal als Kratzen der Krallen eines im Thermostat spielenden Basilisken.
An jenem Morgen träumte ich von Modest Matwejewitsch Steinbeißer. In meinem Traum leitete er unser Rechenzentrum und wollte mir klarmachen, wie man den Aldan bedient. »Modest Matwejewitsch«, sagte ich zu ihm, »was Sie da erzählen, ist Stuss.« Er aber brüllte: »Unter-r-rlassen Sie mir-r-r das! Sie ver-r-rzapfen hor-r-renden Blödsinn! Absoluten Quar-r-rk!« Erst da wurde mir klar, dass das nicht Modest Matwejewitsch war, sondern mein Wecker, Marke »Drushba«, mit elf Steinen auf dem Zifferblatt und dem Aufdruck eines kleinen Elefanten mit erhobenem Rüssel. Ich murmelte: »Ja, ja, ich höre«, und holte nach dem Wecker aus, traf aber nur den Tisch.
Das Fenster stand sperrangelweit offen, ich sah den klaren blauen Frühlingshimmel und fühlte die noch beißende Morgenkälte. Auf dem Fenstersims tappten Tauben umher. Um die gläserne Deckenleuchte schwirrten drei kraftlose Fliegen, anscheinend die ersten in diesem Jahr. Von Zeit zu Zeit schossen sie wild umher, und im Halbschlaf kam mir die geniale Idee, dass die Fliegen wahrscheinlich versuchten, aus ihrer Brechungsebene herauszukommen; ich hatte plötzlich Verständnis für ihr hoffnungsloses Unterfangen. Zwei Fliegen ließen sich auf der Lampe nieder, die dritte aber verschwand, und da wurde ich endgültig wach.
Als Erstes warf ich die Decke zurück und versuchte, über dem Bett zu schweben. Wie immer vor der Morgengymnastik, dem Duschen und dem Frühstück führte es allerdings bloß dazu, dass mich das Rückdrehmoment gegen das Bett presste und die Sprungfedern jämmerlich quietschten. Dann fiel mir der gestrige Abend ein, und mit meiner guten Laune war es vorbei, weil ich nun den ganzen Tag ohne Arbeit zubringen musste. Abends um elf war Cristóbal Junta in den Elektroniksaal gekommen und hatte sich wie immer an den Aldan angeschlossen, um gemeinsam mit ihm ein Problem zu lösen, das mit dem Sinn des Lebens zu tun hatte. Nach fünf Minuten war der Aldan in Flammen aufgegangen. Ich weiß zwar bis heute nicht, was darin brennen kann, aber der Aldan fiel dadurch für längere Zeit aus. Und ich durfte heute, anstatt zu arbeiten, wie einer von den Faulpelzen mit den behaarten Ohren ziellos von Abteilung zu Abteilung wandern, über mein Schicksal jammern und Witze erzählen.
Ich zog die Brauen zusammen, setzte mich aufs Bett und nahm zunächst einen tiefen Atemzug Prana, vermischt mit kühler Morgenluft. Ich wartete eine Weile, bis das Prana wirkte, und dachte, wie empfohlen, an etwas Schönes. Dann atmete ich die kühle Morgenluft wieder aus und machte mich an den gymnastischen Übungskomplex. Die Jungs hatten mir erzählt, dass die alte Schule Yogaübungen vorschrieb, aber für den Yogakomplex brauchte man, genau wie für den heute fast vergessenen Maa y akomplex, fünfzehn bis zwanzig Stunden am Tag, und seit der Ernennung des neuen Präsidenten der Akademie der Wissenschaften konnte sich die alte Schule nicht mehr durchsetzen. Die Jugend des FIFHUZ brach nur zu gern mit den alten Traditionen.
Bei meinem hundertfünfzehnten Sprung schneite mein Zimmergenosse Vitka Kornejew herein. Wie immer am frühen Morgen war er munter und voll Energie, ja sogar herzlich. Er klatschte mir sein nasses Handtuch auf den bloßen Rücken und flog im Zimmer umher, indem er Hände und Füße wie beim Brustschwimmen bewegte. Dabei erzählte er mir seine Träume und deutete sie im Stil von Freud, Merlin und Madame Lenormand. Ich wusch mich, wir machten uns fertig und begaben uns in die Kantine.
Dort setzten wir uns an unseren Lieblingstisch unter dem großen, bereits verblichenen Plakat mit der Losung »Vorwärts, Genossen! Bewegt eure Kinnladen! G. Flaubert«, öffneten die Kefirflaschen, aßen und lauschten den letzten Neuigkeiten und Klatschgeschichten:
In der Nacht hatte auf dem Kahlen Berg das traditionelle Frühlingstreffen stattgefunden, wobei sich die Teilnehmer ziemlich danebenbenommen hatten. Wij und Choma Brut waren in betrunkenem Zustand eng umschlungen durch die nächtlichen Straßen der Stadt spaziert, hatten Passanten belästigt und Zoten gerissen. Dann hatte sich Wij am linken Augenlid verletzt und war wütend geworden. Er und Choma hatten sich
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