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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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beschwören, dass Herr Kielfeder das Kleidungsstück zu einer späteren Zeit als jenem denkwürdigen Tag nicht mehr angehabt habe; es war niemand aufzutreiben, der hätte aussagen können, es seit Herrn Schützenwerths Verschwinden je wieder gesehen zu haben.
    Die Dinge standen nun für Herrn Kielfeder sehr bedenklich, und als unwiderlegliche Bestätigung des Verdachts, der sich gegen ihn erhob, erwies sich sein plötzliches Erbleichen und seine völlige Unfähigkeit, auf die Frage, was er zu seiner Verteidigung zu sagen habe, auch nur ein Wort zu erwidern. Daraufhin ließen ihn die wenigen Freunde, die sein leichtfertiger Lebenswandel ihm noch gelassen hatte, wie ein Mann im Stich und stimmten noch lauter als seine bekannten Feinde für seine augenblickliche Verhaftung. Andererseits aber zeigte sich der Edelmut des Herrn Guterjung in umso hellerem Licht. Er hielt eine warme und sehr beredte Verteidigung zugunsten des Herrn Kielfeder, bei der er mehr als einmal darauf hinwies, dass er dem verwilderten jungen Mann aufrichtig vergeben, »dem Erben des ehrwürdigen Herrn Schützenwerth« die Kränkung aufrichtig vergeben habe, die er (der junge Mann), zweifellos in der Hitze der Leidenschaft, ihm (Herrn Guterjung) zuzufügen für richtig befunden habe. Er vergebe ihm, so sagte er, aus tiefstem Herzen, und was ihn selbst (Herrn Guterjung) angehe, so wolle er – weit entfernt, die Verdachtsmomente auf die Spitze zu treiben, die, wie er leider zugeben müsse, wirklich gegen Herrn Kielfeder zeugten – so wolle er (Herr Guterjung) alles tun, was in seiner Macht stehe, seine ganze Beredsamkeit aufbieten, um – um – um – die schlimmen Anzeichen dieser so bestürzenden Angelegenheit so viel als möglich zu dämpfen.
    In diesem Stil erging sich Herr Guterjung eine halbe Stunde oder länger, sehr zum Lobe seines Verstandes und seines Gemüts. Aber solche warmherzigen Leute wissen Worte oft nicht recht zu setzen – begehen allerlei Ungeschicklichkeiten, sind in ihrem Übereifer, einem Freund zu nützen, oft etwas mal-à-propos – und tun so oft in der allerbesten Absicht mehr zu seinem Schaden als zu seinem Vorteil.
    So ging es diesmal mit Karlchens Beredsamkeit. Denn trotzdem er sich ernstlich zugunsten des Verdächtigen bemühte, hatte doch jede Silbe, die er in der bestimmten, aber unwillkürlichen Absicht äußerte, den Sprecher seinen Hörern gegenüber nicht herauszustreichen, die Wirkung, den bereits vorhandenen Verdacht gegen die Persönlichkeit, deren Sache er vertrat, zu bestärken und die Wut des Pöbels gegen den jungen Mann aufzustacheln.
    Zu diesen unverantwortlichen Fehlern des Redners gehörte der Hinweis, dass der Verdächtige »der Erbe des ehrenwerten alten Herrn Schützenwerth« sei. Die Leute waren wirklich noch nicht darauf gekommen. Sie entsannen sich nur, dass der Onkel (der außer dem Neffen keinen Erben hatte) diesem vor ein bis zwei Jahren ein paarmal mit Enterbung gedroht hatte, und sie hatten diese Enterbung daher stets als eine ganz abgemachte Sache betrachtet – ein so absonderlicher Menschenschlag war die Einwohnerschaft von Schnatterburg. Karlchens Bemerkung aber rückte diesen Punkt sofort ins wahre Licht und ließ so erkennen, dass diese Drohungen eben höchstwahrscheinlich nichts als Drohungen gewesen waren. Und daraus ergab sich natürlich sogleich die Frage nach dem »cui bono?«, eine Frage, die sogar noch mehr als das Wams geeignet war, das furchtbare Verbrechen dem jungen Mann zur Last zu legen. Und hier gestatte man mir, damit ich nicht missverstanden werde, eine kurze Abschweifung, lediglich um festzustellen, dass die so ausnehmend kurze und schlichte lateinische Bezeichnung, die ich angewendet habe, ausnahmslos falsch übersetzt und missdeutet wird. In allen Sensationsromanen und überall – beispielsweise in denen der Mrs Gohe (der Verfasserin von »Cecil«), einer Dame, die alle Sprachen, vom Chaldäischen bis zu den Indianersprachen, beherrscht und deren Kenntnisse »nach Bedarf« und planmäßig von einem Herrn Beckford unterstützt werden – ich sage, in allen Sensationsromanen, bei Bulwer und Dickens angefangen bis zu Turnapenny und Ainsworth, werden die zwei kleinen Worte »cui bono« als »zu welchem Zweck« ausgelegt oder (wie »quo bono«) »wozu ist es gut?« Ihr wahrer Sinn ist jedoch »zu wessen Vorteil«. »Cui« – für wen, »bono« – ist es von Vorteil. Es ist eine rein juristische Phrase und gerade auf solche Fälle wie den vorliegenden anwendbar, wo die

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