Gesammelte Werke
Herrn Maillard, »die gute alte Dame, die uns das Kikeriki vormachte – sie ist, wie ich annehme, harmlos – ganz harmlos, wie?«
»Harmlos?«, sagte er mit unverhohlenem Staunen. »Wie – wie – wie meinen Sie das?«
»Nur ein leichter Fall«, sagte ich und tippte mit dem Finger an die Stirn. »Ich nehme an, es ist kein schwerer, kein gefährlicher Fall, wie?«
»Mein Gott! Was denken Sie denn! Diese Dame, meine liebe alte Freundin Frau Joyeuse, ist so gesund wie ich. Gewiss, sie hat ihre kleinen Eigenheiten – aber, Sie wissen ja: Alle alten Frauen – alle sehr alten Frauen sind mehr oder weniger sonderbar!«
»Gewiss«, sagte ich, »gewiss – und die anderen Herren und Damen hier –«
»Sind meine Freunde und Beamten«, fiel mir Herr Maillard ins Wort und richtete sich abweisend in die Höhe, »meine besten Freunde und Gehilfen.«
»Wie, allesamt?«, fragte ich, »die Frauen und alle die Übrigen?«
»Allerdings«, sagte er, »wir könnten ohne die Frauen gar nicht auskommen; sie sind die besten Irren-Wärterinnen, die es gibt; sie haben so ihre eigene Weise, wissen Sie; ihre strahlenden Blicke haben eine ganz besondere Wirkung – so ähnlich wie der Zauber der Schlange, verstehen Sie.«
»Gewiss«, sagte ich, »ganz gewiss! Aber sie benehmen sich ein wenig sonderbar, wie? – Sie sind nicht so ganz richtig, wie? – Meinen Sie nicht?«
»Sonderbar! – Nicht ganz richtig! – Ist das Ihr Ernst? Gewiss, wir hier im Süden sind nicht sehr zimperlich – lassen uns ein wenig gehen – genießen das Leben, wissen Sie …«
»Gewiss«, sagte ich, »gewiss!«
»Und dann ist vielleicht der Wein, der Clos de Vougeot, ein wenig schwer, wissen Sie – ein wenig stark – verstehen Sie, eh?«
»Gewiss«, sagte ich, »gewiss! Beiläufig gesagt, mein Herr, ist meine Annahme richtig, dass Sie sagten, statt des berühmten Besänftigungs-Systems hätten Sie nun ein System rücksichtsloser Strenge eingeführt?«
»Keineswegs. Die Kranken befinden sich zwar in strengem Gewahrsam, aber die Behandlung – die ärztliche Behandlung, meine ich – ist geradezu eine angenehme.«
»Und das neue System ist Ihre eigene Erfindung?«
»Nicht ganz. Zum Teil geht es auf Dr. Teer zurück, von dem Sie sicher gehört haben; andererseits habe ich aber Modifikationen eingeführt, die, wie ich mit Vergnügen feststelle, von dem berühmten Professor Feder stammen, mit dem Sie, wenn ich mich recht erinnere, die Ehre haben, näher bekannt zu sein.«
»Ich muss leider bekennen«, erwiderte ich, »dass ich bisher nicht einmal den Namen eines der Herren gehört habe.«
»Gütiger Himmel!«, rief mein Wirt, schob seinen Stuhl zurück und erhob die Arme zum Himmel. »Ich habe mich wohl verhört! Wie? Sie wollen doch nicht sagen. Sie hätten von dem bekannten Dr. Teer und dem berühmten Professor Feder nie gehört?«
»So ist es, wie ich beschämt gestehe«, entgegnete ich. »Aber Wahrheit ist die Hauptsache! Und ich bin tief unglücklich, mit den Werken dieser zweifellos hervorragenden Männer nicht vertraut zu sein. Ich werde das aber sogleich nachholen und ihre Schriften sorgsam durcharbeiten. Herr Maillard, Sie haben mich – ich muss es bekennen – Sie haben mich wirklich tief beschämt.«
Und das war Tatsache.
»Nichts mehr davon, lieber junger Freund«, sagte er liebenswürdig und drückte mir die Hand, »trinken wir ein Glas Sauterne miteinander.«
Wir tranken. Die Gesellschaft tat ein Gleiches: Alle tranken maßlos. Sie schwatzten – scherzten – lachten – verübten tausend Tollheiten. Die Fiedeln kreischten, die Trommel dröhnte, die Blasinstrumente gellten und bellten – und die ganze, durch die Wirkung des Alkohols immer wüster werdende Szene artete aus in höllische Raserei. Herr Maillard und ich, einige Flaschen Sauterne und Clos Vougeot vor uns, setzten indessen mit aller Kraft unserer Lungen die Unterhaltung fort. Ein mit normaler Stimme gesprochenes Wort hatte nicht mehr Aussicht, vernommen zu werden, als die Stimme eines Fisches vom Grunde der Niagara-Fälle.
»Sie erwähnten vor Tisch«, brüllte ich ihm ins Ohr, »die Gefahren, welche das alte Besänftigungs-System mit sich brachte. Würden Sie mir darüber Aufschluss geben?«
»Ja«, erwiderte er. »Es hat gelegentlich große Gefahren. Die Launen Wahnsinniger sind unberechenbar, und sowohl ich als auch Dr. Teer und Professor Feder sind der Ansicht, dass es niemals ratsam ist, sie unbewacht herumgehen zu lassen. Ein Irrer mag für einige Zeit
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