Gesandter des Teufels
Unzucht getrieben hatte. Jeanne wusste, dass Marie nicht gelogen hatte, als sie abgestritten hatte, mit einem Mann das Lager geteilt zu haben.
Jeanne wollte nicht darüber nachdenken, wer oder was in Wirklichkeit der Vater von Maries Kind war.
Denn das hätte ihr gesamtes Weltbild und ihren Glauben zerstört.
Jeanne blinzelte und versuchte, sich zu konzentrieren. Sie wusste, dass die Aufgabe, die sie heute zu erfüllen hatte, die wichtigste ihres ganzen Lebens war. Sie durfte sich von ihrer Unsicherheit und Verwirrung über Maries Schwangerschaft nicht von ihrem eigentlichen Ziel ablenken lassen.
Da spürte sie Katherines Blick auf sich gerichtet.
Katherine hielt den Atem an, als ihr klar wurde, von welch starken Zweifeln und Gefühlen Jeanne erfüllt war. Hatte der Erzengel ihr endlich sein wahres Gesicht gezeigt? »Katherine?«, flüsterte Philipp.
»Der heilige Michael hat sich verraten«, murmelte Katherine, »und dabei auch seine heilige Jungfrau im Stich gelassen.«
Philipp runzelte die Stirn, doch Katherine bedeutete ihm, zu schweigen.
Jeanne blinzelte und wandte den Blick von Katherine ab. Ihre Hand glitt kurz zum Griff des wundersamen Schwerts, das sie sich um die Hüfte gegürtet hatte - und es spendete ihr den Trost und die Kraft, die sie so dringend brauchte.
Die Prozession war jetzt vor dem Thron angelangt, und de Chartres hob vor der versammelten Menge die Krone hoch.
Ein Ruf erschallte: »Jeanne! Jeanne! Jeanne!«
Katherine lächelte.
De Chartres wandte sich Jeanne zu, die sich zu ihm gesellt hatte, und reichte ihr die Krone.
Philipp konnte es kaum fassen. Jeanne sollte Karl die Krone aufs Haupt setzen? Gütiger Himmel, wie mochte de Chartres wohl darüber denken?
Philipp musste nur einen Blick auf das starre, wütende Gesicht des Erzbischofs werfen, um zu wissen, wie dieser sich fühlte. Dem Erzbischof von Reims kam stets die Aufgabe zu, den neuen König zu salben und zu krönen ... doch am heutigen Tag hatte die heilige Jungfrau von Frankreich seinen Platz eingenommen. Philipp lächelte zufrieden, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. Regnault de Chartres würde er also auf seiner Seite haben.
Einen Moment lang glaubte Jeanne, sie würde die Krone fallen lassen, doch sie biss die Zähne zusammen, stieg die Stufen zu Karl hinauf und setzte sie ihm aufs Haupt, ohne auf seinen nervösen Blick zu achten.
In diesem Moment geriet die Krone ins Rutschen, und Karl und Jeanne griffen gleichzeitig danach.
Doch die Krone war schwer und schwierig zu halten. Sie rutschte ihnen durch die Finger und hüpfte die Stufen zum Steinfußboden der Kathedrale hinab, während allseits verblüfftes Schweigen herrschte.
Die Krone rollte Philipp vor die Füße und blieb dort liegen.
Er blickte zu Boden, beugte sich dann vor, ergriff die Krone und stand von seinem Stuhl auf.
Philipp konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, während er die Krone hochhielt.
Mit hochrotem Gesicht kam Jeanne zu ihm hinüber, und er reichte ihr die Krone.
»Ihr könnt sie haben«, sagte er, »jedenfalls jetzt.«
Dann ließ er den Blick durch die Kathedrale schweifen und stellte fest, dass aller Augen auf ihn gerichtet waren.
In diesem Moment war er sich so sicher wie niemals zuvor, dass Frankreich eines Tages ihm gehören würde.
TEIL 3
Gefährlicher Verrat
König Richard:
Sagt Bolingbroke (dort ist er, wie mich dünkt), Gefährlicher Verrat sei jeder Schritt, Auf meinem Land getan; er kommt, zu öffnen Des blut'gen Krieges purpurn Testament.
William Shakespeare, Richard IL, Dritter Akt, Dritte Szene KAPITEL 1
Die Prim am Freitag während der Oktave an Maria Himmelfahrt Im zweiten fahr der Regentschaft Richard IL (Tagesanbruch, iy.
August 1380)
Raby saß auf seinem Pferd, den Umhang wegen der Kälte der frühen Morgenstunde fest um sich gezogen, und ließ den Blick im Zwielicht über das Wasser schweifen.
Außer den wogenden Wellen war nichts zu sehen.
Das Klirren eines Zaumzeugs hinter ihm ließ Raby zusammenzucken, und er drehte sich im Sattel um und verfluchte den Unglücklichen, dessen Pferd den Kopf geschüttelt hatte.
Nachdem er seiner Enttäuschung ein wenig Luft gemacht hatte und sich wieder dem Meer zuwandte, auf dem immer noch weit und breit nichts zu sehen war, fühlte sich Raby ein wenig besser.
Er wartete weiter, und die dunkle Reihe von Berittenen, die hinter ihm stand, wartete mit ihm.
In der Nähe befanden sich das kleine Städtchen und der Hafen von Ravenspur, an der Flussmündung des
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