Gesandter des Teufels
schließlich alle sechs mit geblähten Segeln Kurs auf Nordosten nahmen, den grauen Wassern des Verrats entgegen.
Die Nacht war kalt und dunkel, als Marie weinend in Jeannes Gemach kam. Sie sagte nichts, sondern ergriff nur Jeannes Hand und legte sie sich auf den Bauch.
Jeanne erstarrte - die kleine, harte Wölbung war deutlich zu spüren, auch wenn sie noch nicht zu sehen war.
»Aber du hast gesagt ...«, setzte Jeanne an, unfähig, den Satz zu beenden.
»Ich habe keinem Mann beigelegen!«
»Dann ist dies ein Kind des Teufels«, sagte Jeanne.
»Hat der Teufel goldene Hände?«, flüsterte Marie.
Jeanne zuckte zusammen und wich vor Marie zurück. »Geh mir aus den Augen«, sagte sie mit ausdrucksloser Stimme. »Du kannst nicht länger meine Gefährtin sein.«
»Nein, bitte!«
»Ich kann dich nicht länger um mich haben«, sagte Jeanne und versuchte, ruhig zu klingen. »Du musst gehen.«
Immer noch weinend drehte sich Marie um und eilte aus dem Raum.
In dieser Nacht fand Jeanne keinen Schlaf.
KAPITEL 10
Der Donnerstag während der Oktave von MARIA Himmelfahrt Im zweiten fahr der Regentschaft Richard II. (16. August 1380) Die prachtvolle Kathedrale Notre-Dame thronte über dem nordöstlichen Stadtteil von Reims und dem nahegelegenen Flüsschen Vesle. Seit jeher waren die Könige von Frankreich hier gekrönt worden, und so überraschte es Philipp nicht, dass Jeanne und ihre himmlischen Ratgeber darauf bestanden hatten, dass auch Karl hier die Königswürde erhalten sollte.
Aber eigentlich, dachte Philipp von Navarra, während er gelangweilt auf seinem unbequemen Stuhl saß, ist die Kathedrale Notre-Dame die schlechteste Wahl für den armseligen, unfähigen Dummkopf, den Jeanne offenbar für den besten Anwärter auf den französischen Thron hält. Die Kathedrale war vor über hundert Jahren gebaut worden und hatte ein älteres Bauwerk ersetzt. Sie stand an dem legendären Ort, wo einst im fünften Jahrhundert der fränkische König Clovis den christlichen Glauben angenommen hatte.
Der arme Karl wirkte jedoch so einsam und nervös auf seinem Thron, dass man ihn wohl kaum mit Clovis oder einem der zahlreichen anderen Kriegerkönige danach vergleichen konnte.
Hinter dem Altartisch, vor dem Retabel, ging irgendeine Zeremonie vonstatten - Philipp hatte keine Ahnung, was es war -, und so konnte er nichts anderes tun, als sich in der Kathedrale umzusehen. Es war ein trüber Tag, passend zu dem eher trübsinnigen Ereignis, wie Philipp fand, und das Licht reichte nicht aus, um die Farben der großen Buntglasrosette der Kathedrale zum Leuchten zu bringen.
Philipp nahm neben sich eine Bewegung wahr und lächelte. Katherine.
Sie erwiderte sein Lächeln und sah dann vielsagend zu Karl hinüber. Für den Augenblick hatten Jeanne und ihre geistlichen Gehilfen Karl auf dem Thron vor dem Altar sitzen lassen, und der Einfaltspinsel hatte keine Ahnung, was er tun sollte. Sein Blick zuckte nervös hin und her, und seine Hände hielten mal die Armlehnen des Throns umklammert, mal hatte er sie im Schoß gefaltet oder zupfte unsicher am Ausschnitt seiner schweren, juwelenbesetzten Robe herum.
Katherine verdrehte die Augen, und Philipp grinste.
Hinter dem Altar regte sich etwas, und der Erzbischof von Reims, Regnault de Chartres, trat hervor, die französische Königskrone vor sich hertragend. Hinter Chartres folgte eine Doppelreihe Geistlicher, die Gebete murmelten, und dahinter Jeanne, die eine glänzende Rüstung trug, während ihr kurzes, dunkles Haar unter der Kapuze eines Kettenhemdes verschwand.
Für die Jungfrau kam das wohl einem Schleier noch am nächsten, dachte Philipp.
Dann verengten sich seine Augen vor Überraschung, und er packte Katherine am Arm.
Jeanne sah fast genauso bleich und nervös aus wie Karl.
Da stimmte doch etwas nicht!
Jeanne holte tief Luft und versuchte, sich zu beruhigen.
Sie durfte jetzt nicht versagen!
Aber, gütiger Himmel, die Rüstung, die sie trug, war ihr so schwer geworden wie nie zuvor, und ihre Muskeln zitterten vor Anstrengung.
Ihr Herz hämmerte wie verrückt, und der Kopf schmerzte ihr. Nur mit größter Anstrengung gelang es ihr, einen gleichmütigen Gesichtsausdruck zu wahren.
Sosehr sie sich auch bemühte, sie konnte sich nicht mehr länger einreden, dass Maries lüsterne Träume und das Kind, das sie empfangen hatte, auf Katherines dämonische Hexerei zurückzuführen waren. Doch genauso wenig konnte sie sich vorstellen, dass Marie heimlich mit einem der Soldaten
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