Gesandter des Teufels
eine ausgebrannte Ruine, und in Westminster lauerten zu viele düstere Erinnerungen, deshalb war Bolingbroke mit seinem Haushalt in den großen, geräumigen Lambeth Palace eingezogen, der am anderen Ufer der Themse, gegenüber von Westminster lag.
Eigentlich war der Palast der Wohnsitz des Erzbischofs von Canterbury, wenn sich dieser in London aufhielt, doch da Sudbury während des Bauernaufstands ermordet worden war und bisher keiner der zwei (oder waren es drei?) amtierenden Päpste eine Entscheidung darüber getroffen hatte, wer sein Nachfolger sein sollte, stand der Palast leer.
»Er wartet geradezu darauf, dass jemand ihn mit Leben erfüllt«, hatte Bolingbroke gesagt.
Wie Bolingbroke konnte sich auch Thomas nicht erinnern, wann er das letzte Mal so glücklich gewesen war. Heute fand sich das Parlament zusammen, um über Richards Schicksal zu entscheiden, und Thomas war überzeugt, dass es kein angenehmes Urteil sein würde. Das Oberhaus und das Unterhaus hatten sich auf eine umfangreiche Anklageschrift geeinigt, die nicht nur den Mord an Gloucester und Arundel und das Erheben von hohen und ungerechten Steuern umfasste (das Parlament hatte großzügig über den Umstand hinweggesehen, dass es diesen Steuern einst zugestimmt hatte), sondern auch mehrere schwere Verstöße gegen das Gesetz, von der ungerechtfertigten Konfiszierung der Ländereien und Titel Bolingbrokes bis hin zu den übertriebenen Vergünstigungen, die de Vere und andere Verbündete Richards erhalten hatten.
Es gab mehr als dreißig Anklagepunkte: Das Parlament hatte sich als recht erfinderisch erwiesen, wenn es darum ging, einen König zu stürzen, der womöglich auch ihre eigenen Privilegien und Freiheiten antasten könnte.
Thomas kümmerte es nicht weiter, dass einige der Anklagepunkte frei erfunden waren. Richard war am Ende, und der Einfluss des Dämonenkönigs erstreckte sich nun nur noch auf seine Gefängniszelle.
Thomas konnte beinahe spüren, wie die Welle des Bösen, die die Christenheit überflutet hatte, mit jedem neuen Sonnenaufgang weiter zurückwich.
Kein Wunder, dass dieser Tag so herrlich war!
Das Gute und die Gerechtigkeit waren am Ende so stark gewesen, dass es gar nicht mehr zum Kampf gekommen war. Richard hatte sich ihnen klaglos ergeben, und seine freiwillige Kapitulation hatte jede Feindseligkeit gegenüber Bolingbroke, die im Reich hätte aufflammen können, im Keim erstickt.
Thomas war von einem tiefen Gefühl des Friedens erfüllt. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis Bolingbroke den Thron besteigen und Gottes Wille obsiegen würde. Und dann könnte er den Rest seines Lebens damit verbringen, seine Kinder großzuziehen und Margaret zu lieben.
Er erinnerte sich an die Zeit, als er sich gegen seine Liebe zu Margaret gewehrt hatte, und er bedauerte seine eigene Blindheit. Er musste an die unsicheren Tage denken, nachdem er ihr seine Liebe gestanden hatte, und daran, wie ihm der Heiland erschienen war und ihn darin bestärkt hatte, das Richtige getan zu haben. Ihm fiel auch wieder ein, was der heilige Michael zu ihm gesagt und was er ihm einmal bedeutet hatte, doch diese Gedanken schob Neville beiseite. Nach der Erscheinung des Heilands und seiner Botschaft an ihn war von Nevilles einstiger Hingabe gegenüber dem Erzengel nichts mehr übrig geblieben.
Thomas gestattete sich ein kleines, selbstzufriedenes Lächeln, während er die Anlegestelle betrat, und fragte sich, ob Jeanne nun, da die Schlacht gegen das Böse gewonnen war, ihre Rüstung ablegen und in ihr Dorf zurückkehren musste, um Wasser am Brunnen zu holen und Söhne zur Welt zu bringen wie jede andere Bauersfrau auch.
Einen Moment lang sah Thomas über den Fluss zu Westminster hinüber.
Bolingbroke hatte versprochen, dass sie in der nächsten Woche den Palast auf den Kopf stellen würden, um nach Wynkyn de Wördes Schatulle zu suchen. Auch wenn sie nun, da das Böse besiegt war, nicht mehr allzu wichtig war. Thomas fragte sich, ob er überhaupt einen Blick in ihr Inneres werfen sollte - jedes Mal, wenn er an die Schatulle dachte, fiel ihm wieder das schreckliche Schicksal ein, das Margaret ihretwegen hatte erleiden müssen. Eigentlich wollte er das verfluchte Ding nicht einmal anfassen.
Thomas blickte den Fluss hinunter. An diesem Morgen würde ein Schiff aus Sluis eintreffen, auf dem sich Bolingbrokes gesamte Besitztümer befanden, darunter auch die verdammten Bündel und Truhen voller Briefe, Bittschriften, Ersuche und anderer Schriftstücke, mit
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