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Gesang der Daemmerung

Gesang der Daemmerung

Titel: Gesang der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan MacFadden
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dir guttun …«
    Wie merkwürdig!, dachte Marian und betrachtete verstohlen das Amulett in ihrer Hand. Jetzt war die Flüssigkeit darin wieder klar und kühl, ein bläulicher Schein ging von ihr aus wie bei einem tiefen Wasser, das den offenen Himmel reflektiert. Marian war fest davon überzeugt, dass sowohl dieses Amulett als auch die seltsame Erscheinung in der Wasserkaraffe Geisterwerk waren und mit dem boshaft ungetreuen Darion zu tun hatten. Wer weiß? Vielleicht hatte er den Verlust des Amuletts inzwischen bemerkt und geisterte in der Villa umher, weil er sein Zauberding wiederhaben wollte.
    Na warte, du Gauner!, dachte Marian, und endlich kam zu ihrer Erleichterung ein wenig Zorn auf. Das Buch hatte er ihr gestohlen, aber das Amulett würde sie ihm nicht so einfach überlassen! Sie knotete die gerissenen Enden des Seidenbands fest zusammen und hing sich die Phiole um den Hals. Wenn er dieses Fläschchen haben wollte, dann musste er sich schon in ihre Nähe begeben! Und eines hatte sie begriffen: Im Gegensatz zu anderen Menschen war sie in der Lage, ihn zu sehen.
    »Miss Lethaby!«
    Marian fuhr zusammen und schob das Amulett rasch unter ihr Kleid. Doch es war nur Milly, eines der beiden Dienstmädchen, ein junges dünnes Wesen mit großen hellbraunen Augen und einer hässlichen Warze rechts unten am Kinn. Ihr Rock war nass und am Saum voller Schmutz – sie war es gewesen, die Juliette vorhin zum Tor begleitet hatte.
    »Was gibt’s?«
    »Es ist Besuch für Sie gekommen, Miss Lethaby. Eine junge Lady. Sie wartet in der Halle …«
    Das Mädchen reichte Marian eine Visitenkarte, die reichliche Spuren ihrer feuchten Finger aufwies.
    »Kathryn Feathers« war darauf in schön geschwungener Druckschrift zu lesen. Kate! Du liebe Güte, Kates letzter Brief lag schon seit Wochen unbeantwortet auf Marians Schreibtisch.
    »Danke, Milly!«
    So lästig ihr Kates beharrliche Freundschaft auch manchmal geworden war, jetzt freute Marian sich über diesen Besuch. Wie rührend von Kate – bei diesem scheußlichen Wetter verließ sie ihr gemütliches Haus, um Marian zu sehen!
    In der großen, ein wenig düsteren Eingangshalle nahm die Freundin sich recht unscheinbar aus. Das lag ohne Zweifel daran, dass Serenos Gesangsschüler teure und auffallende Kleidung bevorzugten, während die gute Kate eine grau gemusterte Jacke und einen altmodischen Hut trug. Auch das leuchtend rote Haar, das Marian so sehr an ihr gefiel, war zu einer straffen Aufsteckfrisur gebändigt, die Kates kantige Gesichtsform noch stärker betonte. Doch als Kate sie anlächelte, gewannen ihre Züge die altbekannte Wärme und Herzlichkeit zurück. Sie musste sich ohne Marian sehr einsam gefühlt haben.
    »Du liebe Güte, Marian!«, seufzte sie, als sie einander umarmten. »Du bist ja noch viel hübscher geworden – und so elegant, eine richtige Dame. Hattest du mich denn ganz und gar vergessen? Ich habe so lange auf ein Lebenszeichen von dir gewartet, dass ich mir schon Sorgen machte, ob es dir auch gut geht. Lass dich anschauen …«
    »Eine Dame bin ich ganz sicher nicht geworden, Kate …«
    Lächelnd drehte Marian sich einmal um sich selbst und bemerkte dann, dass die wenigen Kleider, die Mr. Strykers für sie hatte anfertigen lassen, keineswegs mit den teuren Gewändern der anderen Schülerinnen mithalten konnten.
    »Auch morgen zum Konzert werde ich wohl in einem ganz gewöhnlichen Straßenkleid auftreten. Aber das ist auch nicht wichtig …«
    »Das ist außerordentlich wichtig, Marian!«, rief Kate aus und fasste ihre Hände. »Weißt du was? Ich werde dir eines meiner Kleider leihen! Meine Mutter hat mir einige sehr schöne festliche Sachen genäht, die müssten dir auch passen …«
    Marian wollte ablehnen, aber Kate war so begeistert von dieser Idee, dass sie einfach weiterredete. Sie wäre sowieso gekommen, um die ungetreue Marian für zwei oder drei Stunden aus der Villa zu entführen. Zu Hause wartete man schon auf sie, ein kleiner Imbiss wäre auch gerichtet.
    »Ich habe dir so viel zu erzählen, Marian! Stell dir vor, ich werde mich bald verloben – ist das nicht großartig? Er ist Angestellter beim Marineministerium und wird dort bald in eine höhere Position befördert werden …«
    »Wie … wie schön für dich, Kate! Und liebst du ihn?«
    »Ach … die Liebe wird sich schon noch einstellen, wenn wir erst verheiratet sind. Aber Walter ist ein zuverlässiger Mensch mit ernster Lebensführung, und er will schnellstens eine Familie gründen

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