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Gesang der Daemmerung

Gesang der Daemmerung

Titel: Gesang der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan MacFadden
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…«
    Also vermutlich ein Biedermann und Langweiler – arme Kate! Auf der anderen Seite hatte die Freundin vielleicht gar nicht so unrecht. Noch gestern Nacht hatte Marian geglaubt, die Liebe eines aufregenden, wundervollen Mannes zu besitzen, doch der Morgen hatte ihr grausam die Augen geöffnet. Liebe bedeutete Schmerz und Enttäuschung, da war es auf die Dauer vielleicht besser, sich gar nicht erst zu verlieben.
    »Nun komm schon, Marian! Hol deinen Umhang, es regnet draußen. Der Hansom wartet bereits vor dem Tor …«
    Weshalb sollte sie Kate eigentlich nicht besuchen? Nur zwei oder drei Stunden – das würde Sereno in seiner momentanen Aufregung gar nicht bemerken. Kates Kleider würden ihr zwar ganz sicher nicht gefallen, aber die vernünftige Denkweise ihrer Freundin würde ihr guttun. Zudem waren ihre Eltern angenehme Menschen, in deren Gesellschaft sie sich immer wohlgefühlt hatte.
    »Wird dein künftiger Verlobter auch anwesend sein?«, wollte Marian wissen, während sie unter Kates breitem Regenschirm den Gartenweg entlang zum Tor liefen.
    »Aber nein! Um diese Zeit ist Walter im Ministerium, er besucht uns nur am Donnerstagabend und am Samstagnachmittag. Bei gutem Wetter auch am Sonntag, aber da trinkt Walter niemals Alkohol, weil er befürchtet, am Montag mit Kopfschmerzen ins Ministerium gehen zu müssen.«
    »Oh!«
    Walter ist nicht nur ein Langweiler, er ist auch ein Mimöschen, dachte Marian amüsiert, während sie Milly, die das Tor aufgeschlossen hatte, freundlich zunickte und dann neben Kate in der Kutsche Platz nahm.
    »Er ist in seinem Beruf sehr eifrig, Marian, und sehr genau. Einen Fehler würde er sich niemals verzeihen.«
    Pingelig war er also noch dazu. Im Laufe der Fahrt wartete Kate mit weiteren Charaktereigenschaften ihres Zukünftigen auf. So war er streng gegen das Tabakrauchen und Kartenspielen eingestellt, wohnte aus Sparsamkeit möbliert bei einer Witwe und war entschlossen, im Falle einer Eheschließung mit seiner jungen Frau im Haus ihrer Eltern zu leben.
    »Wie schade, dass ich ihn nicht zu sehen bekomme!«, scherzte Marian. »Er ist gewiss das Musterexemplar eines soliden, fleißigen Familienvaters.«
    »Oh!«, machte Kate beglückt, und ein leichter Rosaton bemächtigte sich ihrer blassen Wangen. »Du hast ganz sicher recht, Marian. Aber du wirst dich heute trotzdem nicht bei uns langweilen, denn wir haben einen Gast für dich eingeladen.«
    Sie hätte es sich denken können! Was für ein hinterlistiger Überfall – der liebe Vetter George weilte zu einem Besuch bei den Feathers!
    Marian kannte das kleine Haus schon von früheren Besuchen. Es lag in einer ruhigen Straße in Hoxton, besaß eine grün angestrichene Eingangstür mit einem blank geputzten Messingknauf und war von einem winzigen sorgfältig gepflegten Gärtchen umgeben. Der Anschlag war von langer Hand gemeinsam mit Kates Eltern vorbereitet – man hatte den Tisch im Wohnzimmer festlich gedeckt und wies der lieben Marian den Sitzplatz zur Rechten des lieben Vetters George an.
    »Was für eine Überraschung!«, bemerkte Marian ironisch, als der Angekündigte schüchtern auf sie zutrat.
    »Ich … ich hoffe sehr, dass es Ihnen nicht unangenehm ist, Miss Lethaby«, stotterte er. »Ich … ich freue mich außerordentlich, Sie wiederzusehen …«
    Er war noch genauso rothaarig und spindeldürr wie früher, es war auch nicht zu erwarten gewesen, dass er sich während der vergangenen Monate entscheidend zu seinem Vorteil verändert hatte. Doch seine Verlegenheit rührte Marian, und so lächelte sie ihm ermutigend zu. Weshalb sollte sie sich den Nachmittag verderben lassen? Besser war es, die Dinge von der heiteren Seite zu nehmen.
    »Oh, ich freue mich auch, Mr. Harrison. Zumal Sie mir einen Dienst leisten könnten. Kate will mir eines ihrer Kleider leihen, wir werden also gleich eine Modenschau veranstalten und benötigen dazu ein fachkundiges Publikum.«
    Oh weh – hätte sie nur nichts gesagt! Der arme Kerl wurde jetzt rot bis hinunter zum Hemdkragen. Vermutlich spielte seine Fantasie ihm aufregende Umkleideszenen in Kates Zimmer vor.
    »Zu Ihren Diensten, Miss Lethaby! Ich will tun, was ich kann. Auch wenn mein Urteil gewiss sehr persönlich ausfallen wird, da ich Sie strahlend schön finde, ganz gleich, welches Kleid Sie tragen.«
    Die Stimmung bei Tisch war fröhlich, und Marian beglückwünschte sich zu der Entscheidung, diesen Nachmittag nicht in der Villa, sondern hier bei den Feathers zu verbringen. Kates

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