Gesang des Drachen
Fluss gesehen, noch nie ein Wort mit ihm gewechselt, woher also wusste der Mensch, wer Marcas war?
»Wo ist er?«, wiederholte er, als ihm nur Schweigen antwortete.
Maurice fuhr sich mit der Zunge über die Unterlippe. Er wirkte nervös. »Das ist eine Information, die ein gewisses Entgegenkommen deinerseits erfordert.«
»Was?«
»Du musst mir etwas sagen, bevor du eine Antwort auf deine Frage bekommst.«
Peddyr sah sich um. Seine anderen Freunde waren nirgends zu sehen, er war allein mit diesem merkwürdigen Menschen. Und er hatte keine Ahnung, was der von ihm wollte.
»Weißt du jetzt, wo Marcas ist, oder nicht?«, fragte er.
»Natürlich weiß ich, wo er ist, denn ich habe ihn dorthin gebracht.« Maurice sah ihn an. »Verstehst du, was das bedeutet?«
Seine Stimme zitterte, ob vor Wut oder Anspannung, konnte Peddyr nicht sagen. Er hob die Schultern. »Nicht so richtig. Wieso ist Marcas denn mit dir ...?«
Maurice ließ ihn nicht ausreden. »Ich habe ihn entführt, du gottvergessene, dumme Kreatur!«, schrie er. »Und ich werde dir erst sagen, wo er ist, wenn du mir erklärst, was du mit Bricius und Cedric zu tun hast.«
»Gar nichts!«, stieß Peddyr hervor. Seine Gedanken überschlugen sich. Marcas war auf das Wasser angewiesen. Wenn er zu lange an Land blieb, trocknete seine Haut aus. Das war tödlich.
»Lüg mich nicht an!« Maurice blieb stehen, weit genug weg, dass Peddyr ihn nicht mit einem Sprung erreichen konnte. »Ich habe dich beobachtet. Du denkst, dass du unsichtbar bist, weil dich niemand beachtet, deshalb bist du leichtsinnig. Aber jemand wie ich, der um sein Leben fürchten muss, achtet auf jeden. Also beantworte meine Frage.«
Peddyr wusste nicht, was er tun sollte. So viel war an diesem Morgen geschehen, dass er glaubte, die ganze Welt stürze über ihm zusammen. Bricius vertraute ihm, aber Marcas war sein bester Freund. Er konnte ihn doch nicht sterben lassen!
Maurice schien seinen Konflikt zu spüren. »Du kannst ein Leben retten, wenn du dich richtig entscheidest«, sagte er ruhiger. »Bricius benutzt dich und die anderen, weil er weiß, dass ihr nicht auffallt, aber er hält euch für Abschaum, genau wie die anderen Elfen.«
»Das stimmt nicht. Bricius zählt auf uns. Wir sind für den Widerstand ebenso wich...«
Peddyr unterbrach sich erschrocken, als ihm klar wurde, was er gerade sagte. Maurice lächelte. »Siehst du, das war doch gar nicht so schwer. Die Hälfte ist schon raus. Sag mir den Rest, und niemandem wird etwas passieren.«
Peddyr senkte den Kopf. Er fühlte sich schlecht, als er den Mund öffnete und redete, aber ihm fehlte die Kraft, sich gegen Maurices Drohung zu wehren. Eigentlich wusste er ja kaum etwas, dachte er, welchen Schaden konnte er schon anrichten? Und außerdem ging es um Marcas. Sein Leben war wichtiger als ein paar dumme Pläne.
Eine Stimme tief in seinem Inneren sah das anders.
Verräter, flüsterte sie. Das Wort war scharf wie eine Klinge.
4.
Das Dorf im Nebel
Naburo und Spyridon folgten erst einem Wildwechsel, dann einem breiteren Trampelpfad, der durch bunten Mischwald führte. Der Ewige Todfeind schien sich wieder etwas besser zu fühlen. Er ging langsam, aber ohne anzuhalten, voran und sah sich ab und zu neugierig um. Inzwischen war es merklich kühler geworden. Immer wieder zogen Nebelfetzen an ihnen vorbei, die eine unheimliche Eigenbewegung hatten, und sich zuckend wie Schlangen durch die Luft wanden. Cuan Bé kam unaufhaltsam näher und mit ihm die Zauber, die das Basislager schützten.
Irgendwann wurde der Weg breiter, sodass sie bequem nebeneinander gehen konnten.
Als hinter ihnen ein leises Rumpeln zu hören war, drehte Naburo sich um. Spyridon tat noch einige Schritte, ehe auch er stehen blieb und nachsah, ob sich eine Bedrohung in ihrem Rücken näherte.
Über den erdigen Kieselweg kam ein Fuhrwerk auf sie zu, wurde langsamer und hielt schließlich an. Zwei graue Maultiere waren davor angeschirrt, die jeweils drei Beinpaare hatten wie degenerierte Verwandte von Odins Sleipnir. Auf dem Kutschbock hockte eine kindsgroße Gestalt mit borkiger grüner Haut und Knollennase. Sie trug Lederkleidung und einen breiten Gürtel, an dem eine Vielzahl von Beuteln hing. Statt Haaren wuchs ihr ein knochiger Ast aus dem Kopf, an dem mehrere Blättchen grünten. Um ihren Hals leuchtete ein länglicher Gegenstand. Naburo erkannte, dass es eine Sanduhr war, die an einer goldenen Kette hing.
»Heyda!«, rief eine vergnügte, leicht
Weitere Kostenlose Bücher