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Gesang des Drachen

Gesang des Drachen

Titel: Gesang des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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Strohpuppen mit den breiten Köpfen grinsten ihn von den Scheiterhaufen her mit Mündern aus Stöcken an.
    Solange sie Symbole verbrennen, soll es mir recht sein.
    Firkanz hielt mit dem Wagen vor einer reich dekorierten Schenke. Blumen- und Erntekränze hingen von hölzernen Balken herab, als hätte das Haus selbst sich geschmückt.
    »Wird bald dunkel«, sagte Firkanz mit einem verschlagenen Unterton. »Oh, das wird's. Nehmt lieber ein Zimmer für die Nacht. Ihr seid reich, die Herren, euch liegen die Welten zu Füßen, und die Erntefeuer solltet ihr nicht verpassen.«
    Naburo sprang vom Wagen und sah mit Sorge, wie schwer Spyridon das Aussteigen fiel. Inzwischen gesellte sich zu der ersten dunklen Linie in Spyridons Gesicht eine zweite, doch während ihre Blicke sich begegneten, lächelte der Ewige Todfeind.
    »Eine Rast«, sagte er und fuhr sich über die Wange. »Mit feinem Festessen und Bier. Was sagst du, Naburo?«
    »Nun ...«, brachte Naburo hervor. »Das wäre großartig.« Er war kein Narr. Wenn Spyridon von sich aus vorschlug, eine Pause einzulegen, ging er darauf ein. Trotzdem sagte ihm eine leise Stimme in seinem Inneren, dass es vielleicht besser wäre, weiterzuziehen.
    Naburo behielt Firkanz im Auge und achtete darauf, immer so viel Abstand zu dem Grulim zu halten, dass er ihn nicht berühren konnte. Sein Gold wollte er sicher nicht an das dürre Wesen verlieren. Doch der Alte machte keine Anstalten, ihm zu nahe zu treten. Stattdessen lenkte er das Gefährt von der Schenke fort und verschwand mit seinen vielbeinigen Maultieren im Nebel der Gasse.
    Die Kinder – gut zwanzig an der Zahl – hielten sich im Hintergrund und beobachteten sie. Naburo hörte sie kichern, aber auch staunende Ausrufe ausstoßen. Einige der Jungen zeigten immer wieder auf die Schwerter der Neuankömmlinge. Zwei nahmen sich Stöcke vom Boden und begannen einen spielerischen Kampf.
    Naburo wandte sich Spyridon zu. »Was macht dich stark genug für eine Rast?«
    Der Ewige Todfeind zeigte auf eine Veranda vor einer der Hütten. »Siehst du die Frau in den Schatten nicht? Ich bin sicher, du hast mit deinen Vorahnungen recht. Schau dir die Scheiterhaufen an. Diese Leute wollen ein Opfer bringen, und während ich da reingehe und ein Bier trinke, hast du Zeit, das zu klären und zu tun, was immer du tun willst.«
    Naburo spürte Wärme, die seinen Hals nach oben kroch und das Gesicht erhitzte. »Was meinst du damit?«
    »Ich meine damit, dass du nicht leben kannst, solange Ungerechtigkeit geschieht. Ist es nicht so? Also finde heraus, was sie opfern, und falls es diese Frau ist, rette sie. Aber sieh zu, dass du dich beeilst.«
    Naburo kniff die Augen zusammen und betrachtete den Schatten genauer. Spyridon musste bessere Augen besitzen als er, denn Naburo erkannte die verhüllte Gestalt erst in diesem Moment. »Also gut. Einverstanden.«
    Er ließ Spyridon hinter sich und ging auf die ebenfalls reich geschmückte Hütte zu, ohne weitere Zeit zu verlieren. Die Kinder johlten, während er über den Platz schritt. Ein Mädchen kam ihm entgegen und hielt ihm auffordernd einen Kranz aus weißen Rosen hin. Naburo lehnte kopfschüttelnd ab.
    Er verhielt in einigem Abstand zu der Frau und nahm sie nun besser wahr. Sie trug ein weißes, reichhaltig besticktes Kleid. Ein Schleier lag über ihrem Gesicht. Auf dem Kopf trug sie einen Kranz aus schwarzen Lilien. Ehrerbietig hob er eine Hand. »Verzeiht«, rief er ihr zu. »Darf ich näher treten?«
    Sie hob den Kopf, und Naburo machte hellblaue Augen unter dem transparenten Stoff aus. »Warum nicht, Fremder? Dies ist die Nacht der Ernte.« Mit einer anmutigen Bewegung stand sie von ihrem Stuhl auf und blickte ihm entgegen. »Ihr seid willkommen.«
    Naburo folgte der Einladung und betrat über mehrere Holzstufen die Veranda. Die Fremde war nackt unter den Schleiern. Das, was er zuerst für ein reich besticktes Gewand gehalten hatte, war nicht mehr als ein transparentes Stück Stoff, das eher einem Fischernetz glich denn einem Kleid.
    Sie kam ihm entgegen, streckte die weißen Hände aus und zog ihn zu sich. »Wollt Ihr die Erntenacht mit mir teilen, Krieger? Ich bin die Destiga, die Königin der Ernte. Der Brauch verlangt es.«
    Naburo wich zurück. »Nun ... nein, ich ...« Was sollte er sagen? Ich wollte nur nachfragen, ob man Euch in den Feuern verbrennen will. »Dafür bin ich nicht gekommen.« Es war nicht ihr Äußeres, das ihn abstieß. Für einen Menschen war sie schön. Sie hatte volles

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