Gesang des Meeres - Feehan, C: Gesang des Meeres - Turbulent Sea (6 - Joley u. Ilya Prakenskii)
stieß und der Teller über die Tischplatte schlitterte. Er rückte ihn wieder zurecht und mied Joleys Augen. »Ja, richtig. Ich habe
einige Zeit mit ihm verbracht. Und ich traue Prakenskij nicht. Nikitin benimmt sich in Bezug auf ihn sonderbar. Sogar äußerst sonderbar.«
Sie wollte es hören und gleichzeitig doch nicht. Die Erwähnung Prakenskijs erfüllte sie mit einem heftigen Schmerz. Und mit Leid. Schuldbewusstsein. Schamgefühlen. Sie konnte es nicht ausstehen, sich blöd vorzukommen. »Inwiefern?«
»Anfangs dachte ich, sie hätten etwas miteinander, du weißt schon … sexuell.«
Joley verschluckte sich an ihrem Tee, hustete und japste. Als sie wieder Luft bekam, sah sie Brian finster an. »Was um alles in der Welt brachte dich auf den Gedanken, Ilja Prakenskij und Nikitin seien ein Liebespaar?«
»Du bist sehr naiv, Joley, in vieler Hinsicht. Prakenskij ist dominant, im wahrsten Sinne des Wortes, und seine sexuelle Ausstrahlung ist enorm. Er könnte jemanden hypnotisch in seinen Bann ziehen, ganz egal, ob dieses Gegenüber männlich oder weiblich ist, und ihn an sich binden. Nikitin scheint sich von ihm beherrschen zu lassen. Er fürchtet sich vor ihm, aber er lässt sich auch von ihm beeinflussen. Er wird ihn ganz bestimmt nicht feuern, das hast du selbst gesagt. Aber er traut ihm auch nicht. Das habe ich mit meinen eigenen Augen gesehen. Und Nikitin ist schwul.«
»Woher weißt du das?«
Das Schweigen, das jetzt einsetzte, zog sich in die Länge und nahm beträchtliche Ausmaße an. Joley stellte langsam ihre Teetasse ab und starrte den Mann an, den sie schon seit Jahren kannte. Einen Mann, den sie als ihren besten Freund angesehen hatte. Er sah ihr fest in die Augen, aber sie konnte ihm deutlich ansehen, dass er auf Ablehnung gefasst war. »Du? Brian, warum hast du mir das nie gesagt? Wie kann es sein, dass ich nichts davon wusste? Weiß der Rest der Band Bescheid? «
Er schüttelte den Kopf, schwieg aber weiterhin.
Joley lehnte sich an die Wand. »Warum hast du mir das nicht gesagt?«
»Ich konnte es nicht.«
Sie schluckte schwer. »Du hast mir nicht vertraut. Du wusstest, wie gern ich dich habe, und du hast mir trotzdem nicht vertraut, Brian. Das verstehe ich nicht. Hast du etwa geglaubt, das würde an meinen Gefühlen dir gegenüber etwas ändern?«
»Im Moment bin ich schlicht und einfach Brian, einer von der Band, der somit zur Familie gehört, und wir kommen alle prima miteinander aus und mögen uns gegenseitig, und alles ist bestens. Jeder respektiert mich und kommt zu mir, um sich in allen möglichen Fragen Rat zu holen, von einer Verabredung mit einem Mädchen bis hin zu echten Problemen. Wenn es Streit gibt, hören alle auf mich. Was meinst du wohl, was passiert, wenn rauskommt, dass ich schwul bin? Dann werde ich der schwule Typ sein, der in Tränen ausbrechen könnte, wenn ihn jemand anschreit. Alles wird sich ändern. Meine Freunde werden mich anders behandeln, und du kannst darauf wetten, dass sich die Paparazzi die Mäuler darüber zerreißen werden, wie wir Typen alle miteinander im Bus reisen, gemeinsam duschen und im selben Raum schlafen. Sie werden Spekulationen über die anderen Bandmitglieder anstellen, und es wird nicht lange dauern, bis es nicht mehr komisch ist, wenn wir die Revolverblätter lesen. Dann wird es heißen, Brian braucht seinen eigenen Bus, denn wenn behauptet wird, die Jungs schlafen mit einem Schwulen zusammen, wird ihnen das Lachen vergehen. Sie können darüber lachen, wenn die Paparazzi behaupten, du bumst mit uns allen, aber wenn es um sie und um mich geht, wird es nicht mehr komisch sein.«
Er hatte Recht. Sie konnte sich selbst ausmalen, wie es kommen würde. »Wie konntest du das so lange vor uns allen verbergen? « Sie berührte ihn so gut wie nie, aber etwas hätte sie warnen sollen. Sie hatte geglaubt, sie hätte lediglich gefühlt, dass sie persönlich keine sexuelle Anziehungskraft auf ihn ausübte.
»Ich habe es geheim gehalten, weil mir die Band und die Musik mehr bedeutet haben, als jemanden zu vögeln. Also habe ich mich immer wieder mal mit einem Mädchen verabredet und dafür gesorgt, dass viele Fotos von uns gemacht wurden. Nach einer Weile habe ich dann mit dem jeweiligen Mädchen Schluss gemacht. Ich habe die Partys besucht und mich so gegeben, als fühlte ich mich dort wohl. Es war hilfreich, dass ich nüchtern geblieben bin. Ich konnte klar denken und eine Show abziehen, wenn es nötig war. Dich und mich hat die Presse ständig
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