Gesang des Meeres - Feehan, C: Gesang des Meeres - Turbulent Sea (6 - Joley u. Ilya Prakenskii)
besuchen, aber Rick und Leo gehen ganz bestimmt hin. Er könnte ihnen alles Erdenkliche antun.«
»Wir regen uns bestimmt unnötig auf. Lass uns erst mal abwarten.« Sie presste sich eine Hand auf ihren rebellierenden Magen.
War es möglich, dass sie bisher so blind gewesen war? Brian beharrte darauf, dass Nikitin Prakenskij fürchtete. Konnte es sein, dass Nikitin das Aushängeschild und Prakenskij der wahre Boss war? Alle fügten sich ihm – aber auch wirklich alle. Sie hatte es immer wieder beobachtet. Er brauchte nur den Mund aufzumachen. Oder sich von der Stelle zu rühren. Und schon ließ jeder von Nikitins Männern alles stehen und liegen und horchte auf. Konnte er das wirkliche Oberhaupt der russischen Mafia sein? All die Gewalttätigkeit, die sie in seinen Erinnerungen
gesehen hatte, all die Dunkelheit, die seine Aura verdüsterte. Sogar seine von Grund auf dominante Persönlichkeit wies darauf hin. Beherrschte er andere durch sein sexuelles Können? Die Vorstellung machte sie krank.
»Lass uns jetzt nicht in Panik geraten, Brian. Außer uns weiß niemand darüber Bescheid, richtig?«
Er nickte.
»Dann lass uns jetzt erst mal den Auftritt hinter uns bringen. Sag, dass du zu der Party kommst. Wir können es so einrichten, dass bei dem Konzert etwas schiefgeht. Ich kann hinfallen und mich geringfügig verletzen. Wir haben noch ein paar Stunden Zeit, um uns etwas auszudenken, womit wir Zeit schinden können.«
»Wir müssen einen Grund dafür finden, Dallas noch heute Nacht zu verlassen.«
Sie nickte. »Wir werden uns einen Vorwand ausdenken und dafür sorgen, dass er glaubwürdig erscheint. Wir sind Darsteller mit Bühnenerfahrung. Jonas ist bei der Polizei. Ich werde mit ihm und ein oder zwei meiner Schwestern über Nikitin reden. Ich werde mein Bestes tun, um das, was er gegen dich in der Hand hat, unter den Tisch fallen zu lassen.«
Er schüttelte den Kopf. »Für mich ist es gelaufen. Sowie rauskommt, dass ich schwul bin, muss ich die Band verlassen.«
»Nein, ganz bestimmt nicht.« Sie musste ihn schleunigst loswerden. Sein Elend überwältigte sie. »Und deine blödsinnigen Selbstmordgedanken kannst du dir abschminken, das kommt überhaupt nicht infrage.« Sie konnte nämlich fühlen, dass er auch diese Lösung in Betracht zog. »Reiß dich zusammen, Brian, gemeinsam schaffen wir das. Wir sind klug. Uns wird schon etwas einfallen.« Sie stand auf und strich ihre Kleidung glatt. »Meine Familie ist bereits mehrfach mit der Mafia aneinandergeraten, und wir sind jedesmal ungeschoren davongekommen. Du gibst den Tontechnikern Bescheid, dass ich in ein paar Minuten da bin. Ich werde Jonas anrufen.«
Es hatte Brian großen Mut abverlangt, zu ihr zu kommen und ihr die Wahrheit zu sagen. Er hatte sich ihr restlos ausgeliefert, und sie würde zu ihm, zu der langjährigen Freundschaft und zu ihren Gefühlen ihm gegenüber stehen. Er war ihr nur noch mehr ans Herz gewachsen, weil er ihr endlich sein Geheimnis anvertraut hatte. Joley drückte ihn noch einmal eng an sich.
Brian gab ihr einen behutsamen Kuss auf die Schläfe. »Es tut mir so leid, dass ich uns das eingebrockt habe.«
Sein Schuldbewusstsein drückte ihn nieder, und so konnte sie ihn nicht gehen lassen. »Brian.« Sie hielt ihn an seinem Ärmel fest. »Mach keine Dummheiten. Du hast Nikitin für nichts weiter als einen Geschäftsmann gehalten. Ich dagegen hatte schon länger den Verdacht, dass bei Ilja der Schein trügt und mehr dahintersteckt. Falls wir also tatsächlich in Schwierigkeiten stecken sollten, dann trifft mich viel größere Schuld als dich.«
Sie hatte nie verstanden, warum Denny nicht einfach die Finger von den Groupies und den Drogen lassen konnte. Sie war entsetzt darüber gewesen, dass Logan Trish betrogen hatte. Nacht für Nacht war er so stark gewesen, aber am Ende war er der Versuchung erlegen, obwohl er Trish liebte. Sie hatte nicht verstanden, wie ein Mensch so schwach sein konnte, etwas zu tun, wovon er wusste, dass es falsch war – bis jetzt.
»Du hast nichts falsch gemacht, Brian. Von uns allen bist du der Einzige, der versucht hat, das Richtige zu tun. Nichts von alledem ist deine Schuld. Und Deans Tod erst recht nicht. Daran ist derjenige schuld, der ihn getötet hat, und wir wissen nicht mit Sicherheit, dass es Nikitin war.«
»Danke, dass du das sagst, Joley«, sagte Brian.
Er ging zur Tür hinaus, und sie blieb allein in der Stille zurück. In der Leere. Denn genau das war ihr Leben – leer. Nachdem sie
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