Gesang des Meeres - Feehan, C: Gesang des Meeres - Turbulent Sea (6 - Joley u. Ilya Prakenskii)
Ader und ein gutes Gedächtnis für optische Details. Während Tony seine Schilderung in Worten abgab, zeichnete Raymond den Mann, der sie bezahlt hatte, und achtete dabei sorgfältig
auf Kleinigkeiten. Ilja erkannte augenblicklich das Gesicht, das auf dem Papier zum Vorschein kam. Er wartete, bis der Junge fertig war.
»Seht mich jetzt beide an. Seht mir direkt ins Gesicht, weil ich nicht will, dass ihr später behauptet, ihr hättet mich missverstanden. «
Er hatte sein Bild von sich bereits verzerrt und ihre Fantasie mit einem anderen Bild gespeist, aber da Raymond Künstler war, musste er sie auch verbal beeinflussen. »Ich will, dass ihr mich zeichnet, genauso, wie ihr mich seht, bis in alle Einzelheiten, damit ihr meine braunen Augen und das lange Haar und den kleinen dunklen Bart nicht vergesst. Ich werdet nicht vergessen, dass ich sehr groß und hager bin. Ich will, dass ihr euch an den Klang meiner Stimme erinnert. An meine Ausdrucksweise. An jede Kleinigkeit.«
Die beiden Jungen machten sich an die Arbeit, und Ilja sah zu, wie sie einen Sicherheitsbeamten zeichneten, der keinerlei Ähnlichkeit mit ihm aufwies. Raymonds frühere Skizze, die John Dylan zeigte, einen von Joleys Roadies, steckte er in die Innentasche seiner Jacke, bevor er hinausging und seinen beiden Männern zunickte, die daraufhin augenblicklich in der Menge verschwanden.
Ilja begab sich wieder in die Halle und bemerkte, dass Joley ihren Arm immer noch in ein Handtuch gewickelt hatte, während sie eine Liebesballade sang. Sie hatte keineswegs aufgegeben und gab ihrem Publikum alles; mit unverminderter Energie sandte sie ihre wunderschöne Stimme zu jedem einzelnen Platz des vollen Stadions, als sei sie noch genauso frisch wie zu Beginn des Auftritts.
Jerry kam auf ihn zu und blieb neben ihm stehen. »Ist sie nicht ganz erstaunlich?«
»Sie hat Schmerzen. Große Schmerzen.«
Jerry nickte. »Ich habe einen Arzt hier. Wir werden sie auf direktem Weg zu ihrem Bus bringen, damit er sie sich dort ansehen
kann, fern von den Kameras. Eine riesige Schar von Reportern erwartet sie bereits. Normalerweise wäre ich froh über die Publicity, aber Joley ist mit den Nerven am Ende. Ich setze sie nachher alle in ein Privatflugzeug und lasse sie noch heute Nacht von hier fortbringen. Das weiß noch keiner, noch nicht einmal die Band.«
»Das ist wahrscheinlich das Beste. Sie sollten jedoch Nikitin einen Tipp geben. Er hat eine riesige Party für die Band geplant. Von ihm wird die Presse nichts erfahren.«
»Eine gute Idee. Warum rufen Sie ihn nicht an und geben ihm Bescheid. Berichten Sie ihm, was passiert ist, und sagen Sie, wir dürfen die Band nicht gefährden. Das Konzert ist gleich vorbei. Ich will sie schleunigst hier rausholen, Ilja. Sorgen Sie dafür, dass wir freie Bahn haben.«
Ilja nickte und rief Nikitin an. Der Russe hatte sich entschieden, das Konzert am heutigen Abend nicht zu besuchen, was äußerst ungewöhnlich war, aber er benahm sich schon seit ein paar Tagen sonderbar. Er erkundigte sich, ob den Bandmitgliedern etwas zugestoßen war, und Ilja teilte ihm mit, dass Joley verletzt war. Er wollte die Abflugzeit wissen, um die Musiker am Flughafen zu treffen, da er mit eigenen Augen sehen wollte, dass niemand ernsthaften Schaden genommen hatte. Dann befahl er Ilja, die Band zu begleiten und dafür zu sorgen, dass es nicht zu weiteren unliebsamen Zwischenfällen kam.
Es war ein seltsames Gespräch und ganz untypisch für Nikitin, den die Absage einer Band, die er mit einer seiner berühmten Partys beehrte, normalerweise sehr geärgert hätte, überlegte Ilja, als er sich auf den Rückweg zur Bühne machte.
Scheinwerfer blinkten, die Musik schwoll zu einem Crescendo an, und die Band eilte von der Bühne. Sicherheitskräfte säumten den Gang und gestatteten ihnen einen schnellen und gefahrlosen Rückzug. Ilja passte sich Joleys Schritten an und lief neben ihr her, doch sie beachtete ihn kaum. Es war deutlich zu erkennen, dass sie ihm so schnell nicht verzeihen
würde, aber andererseits würde sie auch nicht zugeben, dass sie wütend auf ihn war.
Joley wurde auf direktem Wege zu ihrem Bus gebracht, in dem der Arzt sie bereits erwartete. Die Bandmitglieder drängten sich hinein, und Ilja hielt sich im Hintergrund, wo sie ihn nicht sehen würde. Sie bemerkte ihn trotzdem. Mehrfach fing er ihren gereizten und anscheinend furchtsamen Blick auf.
»Sie müssen sich beeilen«, sagte Jerry zu dem Arzt. »Sie muss ein Flugzeug
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