Gesang des Meeres - Feehan, C: Gesang des Meeres - Turbulent Sea (6 - Joley u. Ilya Prakenskii)
schon wieder auf die Füße«, sagte Ilja. »Alles Weitere übernehme ich.«
»Lassen Sie mich ihr wenigstens eine Tetanusspritze geben.«
»Na los, machen Sie schon«, gab Ilja nach. »Ehe ich Sie hochkant rauswerfe.«
»Ich bin doch nicht derjenige, der ihr das angetan hat«, protestierte der Arzt.
»Nein, aber vom Nähen von Wunden verstehen Sie auch nicht gerade viel«, hob Ilja hervor. Er wartete ungeduldig, bis der Mann Joley die Tetanusimpfung gegeben hatte, bevor er
sie aufs Bett legte. Der Arzt ging, schloss die Tür hinter sich und ließ die beiden allein.
Joley versuchte, etwas zu sagen, um zu verhindern, dass ihr schlimmster Alptraum wahr wurde, aber sie brachte keinen Ton heraus. Sie hatte sich nicht dazu durchringen können, Jerry zu sagen, dass sie besorgt war, Ilja könnte unter Umständen doch zur russischen Mafia gehören. Und sie würde schon gar nicht zugeben, dass sie mit ihm geschlafen hatte. Das Beste, was sie tun konnte, war, ihn mit ihrer Hand vergeblich wegzustoßen.
Ilja tat so, als bemerkte er ihr Unbehagen nicht. »Leg dich hin. Ich hole dir einen Orangensaft. Den kannst du trinken, während ich den Rest der Wunde nähe.«
Sie schnitt seinem Rücken eine Grimasse und zog sich mühsam in eine halb sitzende Stellung hoch, in der sie sich weniger angreifbar fühlte. »Das wirst du bleiben lassen.« Es sollte entschieden und nachdrücklich klingen, doch ihre Stimme war dünn und ein wenig heiser, als hätte sie einen rauen Hals.
Er brachte sie mit einem Blick zum Schweigen. »Vergeude deine Energie nicht darauf, dich mit mir zu streiten. Im Moment kämst du aus eigener Kraft nicht mal aus deinem Bus raus, Joley.« Er drückte ihr das Glas mit dem Saft in die Hand und zog ihren verletzten Arm näher zu sich, um ihn genauer anzusehen. Mit einem tonlosen Fluch legte er seine Hände über die Wunde und sandte Wärme aus, um die Heilung zu beschleunigen und hoffentlich auch den Bereich zu betäuben, den er nähen musste.
Tränen rannen ihr über die Wangen, doch Joley klagte nicht und versuchte auch nicht, ihren Arm wegzuziehen. Er war so sanft wie möglich.
»John Dylan ist der Mann, von dem du glaubtest, er sei mit Dean befreundet gewesen. Dylan hat zwei Jugendliche dafür bezahlt, dass sie die Sprengladung auf dem Steg anbringen. Er hat ihnen gesagt, die Plattform würde wackeln und sonst gar
nichts, und er würde fürs Internet filmen, wie du auf den Hintern fällst. Sie fanden das ›cool‹. Dumme Jungen, nichts weiter.«
Joley stieß den Atem aus und presste sich ihre freie Hand auf den Mund, um nicht zu schluchzen. Ihr Arm tat höllisch weh, und Iljas Berührungen waren so sanft, dass es ihr das Herz aus dem Leib riss. »Ich habe ihm nichts getan. Ich habe nicht mal mit ihm geredet.«
»Er weiß, dass du ihn entdeckt hast. Er weiß nicht, wie, aber er weiß, dass es so ist. Entweder er will etwas vertuschen oder er will nicht, dass du ihn ausfragst oder irgendjemandem sagst, dass er derjenige war, den du an jenem Abend zusammen mit Dean gesehen hast.«
»Er wird sich ausrechnen können, dass ich es dir gesagt habe. Du warst bei mir.«
»Er wird versuchen, mich zu töten.« Ilja blieb sachlich. »Und ich werde ihm eine Gelegenheit dazu geben.«
Joley schnappte hörbar nach Luft. »Das ist eine Dummheit. Wie kannst du nur so dumm sein?«
Er ließ sich einen Moment Zeit und wartete, bis sie zu ihm aufblickte. In manchen Bereichen kann ich sehr dumm sein, Joley. Ich habe dir wehgetan, und es tut mir leid.«
Ihr Magen rebellierte gegen diese Wendung des Gesprächs. Sie wollte nicht, dass er nett zu ihr war. Sie wollte ihn gar nicht erst in ihrer Nähe haben, weil sie sich selbst nicht traute. Wenn es um Ilja ging, war sie schwach, und wie jeder andere Mensch auf Erden konnten ihr da, wo sie schwach war, entsetzliche Fehler unterlaufen. »Mach dir keine Sorgen. Ich bin ein großes Mädchen.«
Seine Augen funkelten gefährlich, und ihr Puls raste. »Joley, was in dieser Nacht passiert ist …«
»Hör auf. Ich will nicht darüber reden. Ich will nicht daran denken. Ich bin müde, Ilja. Und ich muss heute Nacht noch weiterfliegen. Ich habe teuflische Schmerzen, und ich glaube,
jemand versucht, mich zu töten. Wenn ich eine Ahnung hätte, warum, käme ich vielleicht dahinter, wer es ist, aber ich habe keine Ahnung, und daher bin ich aufgeschmissen. Ich will nicht, dass du mit mir redest oder nett zu mir bist oder so tust, als sei zwischen uns beiden irgendetwas anderes als Sex,
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