Gesang des Meeres - Feehan, C: Gesang des Meeres - Turbulent Sea (6 - Joley u. Ilya Prakenskii)
traue, wieso sollte ich dann in seiner Gegenwart einschlafen können?«
»Halt still.« Trish zog die Stirn in Falten, während sie den Eyeliner auftrug. »Du nimmst doch die Pille, oder nicht?«
Joley wäre fast vom Stuhl gefallen. » Wie kommst du denn jetzt darauf? Natürlich nehme ich die Pille. Lissa muss schuld daran sein, dass du sofort an Babys denkst. Ich bin einfach nur müde, und ich habe die Spinner satt, die mir auf Schritt und Tritt folgen und Morddrohungen ausstoßen, weil sie mich so sehr lieben.«
»Ich glaube nicht, dass diese Blumen von jemandem kommen, der dich liebt. ›Stirb Miststück‹ scheint mir nicht besonders liebevoll gemeint zu sein.«
Joley fuhr sich mit beiden Händen durch das Haar. Sie hatte Trishs unerwartete Bemerkung noch nicht verdaut, die Anspielung, ihr könnte übel sein und sie könnte sich elend fühlen, weil sie schwanger war. Sie nahm die Pille, und sie hatte gerade erst vor wenigen Tagen Sex gehabt. Trish war übergeschnappt. Also wirklich. Sie strengte sich an, ihre Gedanken von Ilja, Sex und Babys loszureißen und sich darauf zu konzentrieren, wer ihr die verwelkten Blumen geschickt haben könnte. »In der Nacht nach unserer Abreise aus Red Rocks habe ich auf meinem Handy einen sonderbaren Anruf bekommen. Jerry hat mir ein neues Handy und eine neue Nummer besorgt. Aber Ilja hat diese Nummer und das alte Handy für den Fall behalten, dass sich der Anrufer noch mal meldet. Er hat gesagt, wenn sie meine Stimme hören, könnte das verhindern, dass sie sich noch mehr in ihren Hass hineinsteigern.« Joley beugte sich vor, um Lippenstift aufzutragen. » Wie viel Zeit habe ich noch?«
»Du musst dich beeilen, Süße.« Trish strich über Joleys Haar und nickte zufrieden. »Dein Haar sieht toll aus. Es glänzt vor Gesundheit.«
»Das ist gut zu wissen. Ich fühle mich nämlich gar nicht glänzend. Wo ist mein Kostüm?« Joley sah sich um. »Ich dachte, ich hätte die Sachen draußen an die Schranktür gehängt. Ich weiß nicht, wo ich meinen Kopf heute Abend habe.« Sie war in Gedanken bei Ilja, und sie war besorgt um ihn. Ihr Grauen, das nicht nachlassen wollte, sondern von Minute zu Minute zunahm, bereitete ihr ebenfalls Sorgen. Sie sprang auf und lief auf den schmalen Kleiderschrank zu, der in die Wand eingebaut war.
Ungeduldig riss sie die Schranktür auf. Trish keuchte. Von dem Kostüm, das Joley auf der Bühne tragen wollte, war nichts übrig. Das raffinierte Top hing in Fetzen da, lange, dünne Streifen glitzernden Materials. In einer noch schlimmeren Verfassung war ihre fantastische Jeans, auf die aus Strass ein leuchtend bunter Regenbogen aufgenäht war.
Sie feuchtete sich die Lippen an und sah blinzelnd zu Trish auf. »Die Kleidung, die ich trage, mögen sie anscheinend auch nicht.« Tränen brannten hinter ihren Lidern. »Die bringen mich nicht dazu, dass ich weine.« Aber sie wollte weinen – nicht wegen der Blumen oder der zersägten Puppe, noch nicht einmal um ihr Bühnenkostüm, obwohl es ihr liebstes war. Sie wollte weinen, weil Ilja nicht da war und sie entsetzliche Angst um ihn hatte.
Das Grauen, das sich im Lauf der letzten Stunde gesteigert hatte, ließ ihr Herz rasen und ihre Handflächen schwitzen. Es nahm weiterhin zu und es hatte nichts mit den Dingen zu tun, die ihr zustießen.
»In fünf Minuten ist es Zeit für deinen Auftritt, Joley. Was wirst du jetzt tun?«
»Ich werde heute Abend salopp auftreten.« Sie reckte das Kinn in die Luft, und ihre Augen funkelten vor Zorn. »Denen
werde ich es zeigen, Trish. Niemand jagt mir so viel Angst ein, dass ich deshalb nicht mehr auftrete. Wenn ich beschließe auszusteigen, dann wird es sein, weil ich es will, und ganz bestimmt nicht deshalb, weil ich mich vor Angst geschlagen gebe. Wer auch immer dieser Perverse ist – von mir aus kann er sich eine Eintrittskarte kaufen und sich meinen Auftritt ansehen, denn ich werde mich heute Abend selbst überbieten und das beste Konzert meines Lebens geben.«
»So ist es richtig, Süße«, sagte Trish. »Dann mal los. Jerry und ich kümmern uns um diesen Mist, und du übernimmst es, diesen Leute, die hergekommen sind, um dich zu sehen, etwas zu bieten, das sie im Traum nicht erwartet hätten.«
Joley musste rennen, um die Band einzuholen. Fast hätte sie das übliche Ritual vor dem Auftritt verpasst. Brian zog eine Augenbraue hoch, als er ihre saloppe Alltagskleidung sah, doch dem Publikum schien das überhaupt nichts auszumachen, als sie auf die Bühne
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