Gesang des Meeres - Feehan, C: Gesang des Meeres - Turbulent Sea (6 - Joley u. Ilya Prakenskii)
Leben zu führen.«
»Und du hast ihm geglaubt? Du hast die Männer gesehen, die für ihn arbeiten, und die Waffen, die sie tragen, und du hast ihm trotzdem geglaubt?«
»Wenn es ihm gelungen ist, sich von der Mafia loszusagen, Joley, vor allem von der russischen Mafia mit ihrer langen Tradition von Vergeltung und Gewalttätigkeit, dann kann ich verstehen, warum er das Gefühl hat, Waffen und Männer zu brauchen, die ernst genommen werden.«
»Und wie viele Angehörige der Mafia brechen tatsächlich
erfolgreich aus dieser Welt aus, Brian?« Sie lachte barsch. »Glaubst du auch an den Weihnachtsmann?«
»Du solltest dir wirklich Zeit nehmen, um ihn kennenzulernen, bevor du ihn verurteilst«, sagte Brian. »Ich glaube, du würdest ihn mögen.«
»Du hast eine klitzekleine, aber sehr entscheidende Tatsache vergessen, mein Freund.« Joley schloss ihr Zimmer auf, blieb in der offenen Tür stehen und drehte sich um, damit sie seinen Gesichtsausdruck sehen konnte. »Ich bin eine Drake. Wir sind nicht normal. Ich sehe durch Berührungen ins Innere von Menschen und achte daher sorgfältig darauf, euch alle nur im Ausnahmefall zu berühren. Nikitin brauche ich noch nicht einmal zu berühren, um die Gewalttätigkeit und das Böse in ihm zu fühlen. Sei kein Dummkopf, Brian, halte dich von ihm fern und sorge dafür, dass sich auch unsere Jungs von ihm fernhalten. Er wird euch nach Kräften ausnutzen und euch fallen lassen, ohne einen weiteren Gedanken an euch zu verschwenden. Dafür garantiere ich dir.« Sie sah seinen schockierten Gesichtsausdruck, bevor sie ihm die Tür vor der Nase zuschlug.
3.
I hr Handgelenk juckte. Es juckte ganz gewaltig. Joley rieb ihre Hand heftig an dem Jeansstoff auf ihrem Oberschenkel, biss die Zähne zusammen und bemühte sich währenddessen ständig, keinen Kontakt aufzunehmen und nicht mental nach ihm zu suchen – nach Ilja Prakenskij. Wenn sie durch die offene Tür ihrer Garderobe hinter der Bühne blickte, konnte sie die Energie im Stadion fühlen, die anschwoll und sich wie Wellen auf dem Meer dahinwälzte. Zehntausend unruhige Menschen, die aufgeregt und erwartungsvoll ihrem Auftritt entgegenfieberten, und doch wusste sie mit absoluter Sicherheit, dass Prakenskij irgendwo in dieser riesigen Menge war.
Adrenalin schoss durch ihren Körper und trug noch mehr zu der Erregung und den wachsenden Wogen reiner Energie bei, die diese Menschenmenge produzierte. Glut durchzuckte ihren Körper bei dem Gedanken an den russischen Leibwächter. Sie konnte nicht in seine Nähe kommen, ohne dass knisternde Funken zwischen ihnen übersprangen. Manchmal schwor sie, so wie jetzt, dass sie seinen Geschmack noch in ihrem Mund hatte. Sie hob ihre Finger an ihre Lippen und drückte fest zu, weil sie die Erinnerung an seinen Kuss auslöschen wollte. Doch es gelang ihr nicht.
»Joley? Siehst du das? Dort draußen tobt der helle Wahnsinn. « Brian sah sie strahlend an. Seine Augen leuchteten, und er sah teuflisch sexy aus, genauso, wie ihn die Frauen im Publikum mochten. Eng anliegende Jeans, das Hemd bis auf
den flachen Bauch offen, damit man die Brust sah, das schwarze Haar zerzaust. Die Frauen würden rasen, wenn er auf die Bühne kam.
Sie trat in den Gang hinaus und grinste so breit wie er. Das Publikum war belebend, aber was ihr immer wieder unter die Haut ging, war die Musik. Ihr Denken wurde durch Musik bestimmt – sogar ihr Sehen hatte musikalische Formen angenommen. Manchmal konnte sie Musik auch riechen und schmecken. Töne und Melodien zogen durch ihren Verstand, wenn sie sich zwanglos mit anderen unterhielt. Sie hörte Musik im Rhythmus der Welt, von der sie umgeben war, und manchmal fand sie in der Stille vollendete Songs. Aber jetzt, wenn die Energie so kräftig strömte, sah sie farbige Noten wie winzige Glühwürmchen durch die Luft schwirren.
Für eine der sieben Töchter einer siebenten Tochter, die besondere Gaben besaß, konnte das ein Segen und zugleich ein Fluch sein, denn wenn sie ihren Geist öffnete, konnte sie die Hoffnungen, Träume und Enttäuschungen im Leben der Menschen in ihrem Publikum fühlen. Nur selten wandte sie sich einer Einzelperson zu und berührte sie, und sie drang auch nur sehr selten in die Intimsphäre eines Einzelnen vor. Aber manchmal streute sie sanftere Melodien und langsamere Balladen zwischen die heißen Tanzrhythmen des Rock’n’Roll ein, für den sie so berühmt war, um bedrückten Menschen, die sie in ihrem Publikum wahrnahm, inneren Frieden und
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