Gesang des Meeres - Feehan, C: Gesang des Meeres - Turbulent Sea (6 - Joley u. Ilya Prakenskii)
dass ihr übel wurde. Ein dunkler Schatten glitt über sie hinweg und fiel über die Felsen und den Pfad, als ein Geier träge über ihr kreiste. Joley blickte auf und sah den Vogel in einem weiten Bogen über die Gegend fliegen.
Sie konnte das Schillern der Morgensonne auf dem Gefieder sehen, die dunkle Brust und die Konturen der ausgebreiteten Flügel, als der Vogel erneut über sie hinwegflog. Diesmal dehnte sich der Schatten aus, wurde immer größer und warf ein bizarres Bild auf den roten Fels. Da die Sonne hindurchschien,
sah der Fels aus wie tiefrotes Blut, das durch den geschwärzten Schatten des Geiers floss. Die gefiederten Flügelspitzen, der Schnabel und die Krallen vermittelten Joley den Eindruck, einen Schemen des Todes zu sehen.
Sie blieb stolpernd stehen und musterte den unheilverkündenden Schatten. Das schlechte Gefühl in ihrer Magengrube verstärkte sich. Hier stimmte etwas nicht. Hier stimmte etwas ganz und gar nicht. Ihre Augen suchten ihre nähere Umgebung ab, und ihr wurde erstmals voll und ganz bewusst, dass sie allein und schutzlos war.
Ihre Nerven waren angespannt, als sie umkehrte und den Rückweg zum Parkplatz antrat, wobei sie diesmal sorgsam darauf achtete, mitten auf dem Weg zu bleiben, damit sie alles sehen konnte, was von beiden Seiten auf sie zukam. Bäume, Felsen und Sträucher säumten den gewundenen Pfad. Ein Angreifer hätte sich an zahllosen Orten verstecken können. Eine Bewegung fiel ihr ins Auge, Laub, das in der sanften Brise wehte, als sie an einer weitläufigen Felsformation vorbeikam. Wieder kreiste der Vogel über ihr und warf seinen riesigen Schatten.
Joley rannte weiter und hörte, wie sich der Rhythmus des Lebens um sie herum veränderte. Das Geräusch ihrer Schuhsohlen war ein Echo ihres hämmernden Herzschlags. Die scharfen Augen des Vogels schienen von Bosheit und Tücke erfüllt zu sein, und der Schatten breitete sich immer weiter auf dem roten Fels aus und griff von allen Seiten nach ihr.
Sie drehte sich im Kreis, da sie einfach das Gefühl nicht abschütteln konnte, beobachtet zu werden, während sich das Böse an sie heranschlich. Es war ein Segen und ein Fluch, wenn man Dinge fühlte, und im Moment fühlte sie sich wie ein gehetzter Hase. Sie lief wieder los, behielt den Pfad im Auge und achtete darauf, stets bereit zu sein, da sie wusste, dass dieses Gefühl sowohl von einem ihrer Stalker als auch von einem Fotografen hervorgerufen werden konnte, der sie durch ein starkes Teleobjektiv beobachtete.
» Wie kann man nur so dumm sein«, fauchte sie tonlos vor sich hin, als sie um eine Kehre bog. Hier wurde der Pfad schmaler, und die Sträucher rückten näher und hätten es jedem erlaubt, sich dort zu verbergen und sich auf einen nichtsahnenden Spaziergänger zu stürzen. Sie legte an Tempo zu, aber sie lief bergab, und es wäre gefährlich gewesen, zu schnell zu rennen.
Sie war ziemlich sicher, dass die Reihe von Haarnadelkurven etwa auf halber Strecke des Weges lag. Als sie in einem vollendeten Rhythmus und mit geschmeidigen Bewegungen die zweite Kehre umrundete, hatte sie das Gefühl, es sei ihr gelungen, die ideale Geschwindigkeit zu finden, doch in dem Moment prallte sie frontal mit jemandem zusammen. Der Aufprall war heftig, und ihr Gesicht wurde eng an eine breite Brust gepresst. Arme schlangen sich um sie und hoben sie vom Boden hoch, als sie das Gleichgewicht verlor. Joley schrie auf und ließ beide Daumen auf die entblößte Kehle ihres Gegenübers hinuntersausen, doch derjenige hatte das Kinn bereits gesenkt und die empfindliche Stelle in Sicherheit gebracht.
Sowie sie einatmete, wusste sie, wer es war – sowie die erste Furcht nachließ und sie seinen vertrauten Körper fühlte, die eiserne Kraft in seinen Armen. Er war mit einer dünnen Schicht von glänzendem Schweiß überzogen. Auch er war gerannt. Ilja stellte sie auf den Boden und gab ihr Halt, aber er ließ sie nicht los.
»Alles in Ordnung mit dir?«
Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, und ihre Blicke glitten über sein zerzaustes Haar, die unbändige Erregung in seinen Augen, seine muskulöse Brust und die kräftigen Arme, über denen sein dünnes schwarzes T-Shirt spannte. Die schmale Taille und die Hüften, die dicke Ausbuchtung vorn in seiner Jeans … Ihr Mund wurde trocken und tausend Schmetterlinge schwangen sich in ihrem Bauch zum Flug auf.
Von einem Moment zum nächsten war sie erregt und fühlte, wie sie feucht wurde.
Seine Melodie war voller Glut und
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