Geschäfte mit der Ewigkeit
Welt, in der die Menschheit ewig lebte und ewig jung blieb. Konnte Weisheit auch ohne Falten und graue Haare kommen? Würden die langen Gedanken der alten Menschen durch die Vorherrschaft des ewig jungen Fleisches verschwinden und absterben? Würde die Menschheit die Sanftheit und Toleranz des Alters verlieren? Konnte der Mensch der Zukunft in einem Schaukelstuhl sitzen und am offenen Fenster die Ankunft des Abends erwarten und in dieser Erwartung Befriedigung finden?
Oder war die Jugend selbst nichts als ein äußeres Merkmal? Würde die Menschheit im Laufe der vielen Tage ungeduldig werden und sich über die Ewigkeit enttäuscht zeigen? Was blieb noch nach Millionen Umarmungen, nach Millionen Mittagessen und nach Hunderttausenden von Frühlingen, in denen Flieder und Narzissen blühten?
Brauchte der Mensch mehr als das Leben?
Konnte er mit weniger als dem Tod auskommen?
Und sie wußte, daß sie diese Fragen nicht beantworten konnte, obwohl sie beantwortet werden mußten. Wenn sie auf diese Fragen keine Lösung fand, durfte sie auch nicht an die große Lösung gehen.
Sie schaukelte langsam hin und her und ließ sich die Fragen immer wieder durch den Kopf gehen. Allmählich aber wurden sie von dem sanften Wunder des Abends verdrängt.
In irgendeiner dunklen Mulde in den Hügeln begann der erste Ziegenmelker seinen Abendgesang.
24
Jetzt, da der Bart die Tätowierungen einigermaßen verdeckte, brauchte Frost nicht mehr bis zur Dunkelheit warten. Er wagte sich schon zu Beginn der Dämmerung ins Freie. Mit einem alten, zerbeulten Hut, den er aus einer Abfalltonne gefischt hatte und der ihm bis zu den Augen reichte, begann er seine Wanderung durch die Straßen. Bei Dämmerung waren nur noch wenige Menschen unterwegs, und sie hatten es eilig, wieder in ihre Löcher in den großen Apartmenthäusern zurückzuhuschen. Die Stadt gehörte ihm.
Frost, der die Menschen unter seiner Hutkrempe hervor beobachtete, wußte genau, was in ihnen vorging. Sie beeilten sich, um in kurzer Zeit so viel Arbeit wie möglich zu schaffen und so viel Gewinn wie möglich anzuhäufen. Und sie rannten in ihre Wohnungen zurück, um zu keinen Geldausgaben versucht zu werden.
Obwohl es jetzt kaum noch solche Versuchungen gab. Denn die Kinos waren ebenso wie die Sportveranstaltungen und das Nachtleben verschwunden. Sie waren dem Spardrang zum Opfer gefallen. Und das gefiel dem Ewigkeits-Zentrum, denn es bedeutete mehr Geld in den Kassen.
So drängte die menschliche Herde abends heim, las die billig aufgemachten Zeitungen, las billige Bücher oder saß stumm vor dem Fernsehapparat. Einige beugten sich auch über Briefmarkensammlungen, die im Laufe der Jahre ständig an Wert zugenommen hatten, oder vielleicht über eine Sammlung von Schachfiguren, von der sie annahmen, daß sie im Wert steigen würde.
Dann gab es auch solche, die Drogen einnahmen, um für ein paar Stunden ein Phantasieleben zu führen – ein Leben, in dem sie der Monotonie des Alltags entfliehen konnten.
Denn jetzt gab es keine Erfindungen mehr wie früher. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts hatte man den Phonographen entdeckt – und das Telephon. Später waren Flugzeuge und Radiogeräte und Fernsehapparate hinzugekommen. Aber heute gab es nichts Neues. Es gab nur da Fortschritte, wo es das Ewigkeits-Zentrum wünschte. Man begnügte sich mit dem, was man hatte, und es war oft herzlich wenig. Die Zivilisation war zum Stillstand gekommen, und das heutige Leben hatte in mancher Hinsicht Ähnlichkeit mit dem finstersten Mittelalter.
Damals hatten die Bauern die Felder bestellt, nur um sich am Leben zu erhalten, und abends waren sie in ihre Hütten geschlichen, hatten die Türen verriegelt und auf die Schrecken der Dunkelheit gehorcht.
Und so war es heute. Tagsüber mühsame Arbeit und nachts Abgeschlossenheit und Einsamkeit.
Frost war diesem Trott entronnen. Er mußte sich nie beeilen. Denn er kannte nur wenige Orte, und zu keinem davon drängte es ihn besonders. Jeden Abend holte er sein Eßpaket vom Mülltonnendeckel. Hin und wieder suchte er die Abfalleimer nach alten Zeitungen durch, um tagsüber Lesestoff zu haben. Und dabei hielt er die Augen offen, um sich den einen oder anderen nützlichen Gegenstand anzueignen. Tagsüber schlief und las er, und bei Dämmerung fing er seine Wanderungen an.
Es gab noch andere, die wie er herumstrichen, und manchmal sprach er kurz mit ihnen, denn ihnen konnte es nicht schaden, wenn ein Verbannter sie anredete. Einmal war er
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