Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)
aufpassen und würde es nur zu besonderen Anlässen tragen. Von den anderen Verwandten hatte ich ein paar Bücher, eine Bibel und noch anderen Schmuck bekommen. Außerdem von fast jedem etwas Geld, sodass es insgesamt ganz schön viel war. So viel Geld hatte ich noch nie gehabt! Mama sagte, wir sollten es gleich am nächsten Tag auf mein Sparbuch einzahlen.
Nach dem Mittagessen ging ich nach oben, um mich umzuziehen. Oma und Mutti wollten zwar erst um drei Uhr kommen, aber ich konnte es nicht erwarten, mein weißes Kleid noch einmal anzuziehen. Ich hatte ein bisschen gekleckert gestern, aber Mama hatte die Flecken am Abend schnell rausgewaschen und heute war das Kleid schon wieder trocken und genauso sauber wie gestern. Mama und ich hatten extra für heute eine Torte gebacken, für das Kaffeetrinken mit Oma und meiner Mutter. Wenn ich schon nicht so aussah wie eine Torte, sollte es wenigstens eine zu essen geben, hatte Mama gesagt.
Ich freute mich auf Oma. Und auch ein bisschen auf meine Mutter. Sicher würde ihr mein schönes Kleid gefallen. Und sie würde mir garantiert ein tolles Geschenk mitbringen. Sie schenkte mir immer super Sachen. Spielzeug oder Anziehsachen. Papa meinte oft, es wäre zu viel, so viel würde ich doch gar nicht brauchen, wenn ich am zweiten Weihnachtsfeiertag oder am Tag nach meinem Geburtstag bei meiner Mutter gewesen war und wieder nach Hause kam.
Ich hörte unten das Telefon klingeln. Es verstummte gleich wieder, also war Mama wohl drangegangen.
»Janine, Telefon für dich! Deine Mutter!«, rief sie kurz danach nach oben.
Ich lief die Treppe hinunter.
»Ja, hallo, hier ist Janine«, meldete ich mich.
»Janine, mein Schätzchen, es tut mir leid, aber ich muss für heute leider absagen.«
Ich hatte es irgendwie geahnt. Wenn meine Mutter sagte, dass sie mich besuchen oder abholen kam, hieß das noch lange nicht, dass es auch passierte.
Weil meine Mutter aussah wie ein Model und oft mit tollen Autos oder im Taxi kam, waren die anderen Kinder immer neugierig, wann sie mich wieder abholen kam, und fragten mich, wenn wir spielten: »Janine, wann kommt deine Mutter das nächste Mal?« Früher hatte ich genau das geantwortet, was wir ausgemacht hatten. Und sie war dann einfach nicht gekommen. Wenn ich sagte: »Am Samstag kann ich nicht, da holt mich meine Mutter«, lachten die anderen jetzt und riefen: »Du erzählst doch nur Quatsch, die kommt sicher wieder nicht.« Deshalb sagte ich manchmal nur noch »Weiß nicht«, wenn mich einer von ihnen fragte, wann sie mich das nächste Mal abholen würde.
»Warum kommst du denn nicht?«, fragte ich meine Mutter jetzt.
»Ich kann nicht kommen, ich habe einen Pickel. Mitten im Gesicht.«
»Was hast du?«, fragte ich noch einmal nach.
»Janine, ich habe einen Pickel, ich kann heute nicht kommen.«
Wieso konnte man denn nicht zu Besuch kommen, wenn man einen Pickel hatte? Machte sie einen Scherz?
»Okay.«
»Alles klar, feiere noch schön und grüß Oma. Tschüss!«, sagte sie und war weg.
Ich legte den Hörer auf. Kam sie jetzt wirklich nicht? Oder kam sie einfach später? Sie kam bestimmt noch und brachte mir ein super Geschenk mit.
Um Punkt drei Uhr klingelte es und Oma stand vor der Tür. Neben ihr stand ein großes Paket, eingepackt in rosa Geschenkpapier. Sie strahlte, nahm mich in den Arm und drückte mir einen dicken Schmatz auf die Wange.
Nachdem sie Mama begrüßt und mein Kleid bewundert hatte, gingen wir ins Wohnzimmer und setzten uns aufs Sofa.
»Was ist mit deiner Mutter? Bin ich zu pünktlich oder sie zu spät?«, fragte Oma.
»Zu pünktlich gibt es gar nicht«, sagte ich. Sie wollte mich schon wieder veräppeln. »Sie kann nicht kommen, sie hat einen Pickel. Aber vielleicht kommt sie ja trotzdem noch.«
Oma zog die Brauen hoch und schüttelte den Kopf. Dann seufzte sie und sagte: »Hört sich nicht danach an.«
»Mhm.«
»Aber weißt du was, dann machen wir zwei uns einfach alleine einen schönen Nachmittag. Und dafür hab ich uns was Tolles mitgebracht. Was ist? Willst du nicht sehen, was in dem Monsterpaket hier drin ist?«, fragte sie und zeigte auf das große rosa Paket.
Ich packte das Paket aus.
»Ein Barbie-Schaumbad!«, rief ich, als ich das Papier abgewickelt hatte. Es war eine rosa Badewanne mit einer durchsichtigen Wand, auf die grüne Pflanzen und rote Schmetterlinge aufgemalt waren. In einem kleinen Fläschchen war Schaumbad, das man mit etwas Wasser in die Wanne einfüllte. Wenn man mehrmals auf einen
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