Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)
Bäuche voll.
Trotzdem waren wir heute ein bisschen stiller als sonst. Nach dem Essen wollten wir Familienrat halten. Das machten wir immer, wenn es etwas Wichtiges zu besprechen gab. Sonst waren das oft die Besuche vom Jugendamt, vor denen Mama immer ziemlich nervös war, aber heute war es etwas anderes. Ich wusste, dass es mit dem Telefonat zwischen meiner leiblichen Mutter und Mama gestern zu tun hatte.
Als wir zusammen die Küche aufgeräumt hatten, setzten wir uns alle wieder an den Esstisch. Kerstin hatte Tee gekocht und verteilte die Tassen.
Mama sagte: »Deine Mutter hat gestern angerufen und hat Neuigkeiten berichtet«. Sie sprach sehr ruhig, aber ich merkte, dass es ihr schwerfiel. »Sie zieht um. In eine größere Wohnung, zusammen mit ihrem neuen Lebensgefährten. Du hast ihn ja schon kurz kennengelernt, als du letzten Monat das Wochenende bei ihr warst. Er heißt Helmut.«
Ich zuckte mit den Schultern und sagte: »Aha.« Sie hatte ja immer mal wieder einen neuen Partner und an Helmut konnte ich mich natürlich erinnern. Er sah älter aus als meine Mutter und hatte einen riesigen Amischlitten mit roten Ledersitzen. Damit waren wir durch die Stadt gefahren. Das Auto war cool, aber Helmut fand ich nicht besonders nett. Sie hatte immer alleine gewohnt. Ich hätte es besser gefunden, wenn sie weiterhin alleine gewohnt hätte, weil ich Helmut irgendwie blöd fand. Aber so oft besuchte ich sie ja gar nicht. Und vielleicht war er ja auch nicht immer da.
»Es ist so … Deine Mutter glaubt, dass der Mann, also dieser Helmut, dein Vater ist.«
»Wieso mein Vater, das ist doch Papa!«, sagte ich völlig perplex und sah zu Papa hinüber. Er sah sehr traurig aus. Kerstin rutschte auf ihrem Stuhl herum und rührte in ihrer Teetasse. Stefan zeichnete mit einem Finger unsichtbare Bilder auf den Tisch.
Mama nahm meine Hand. Leise sagte sie: »Natürlich ist Papa dein Vater, aber nicht dein leiblicher, das weißt du doch. Wir wussten bisher nicht, wer dein leiblicher Vater ist, aber nun hat deine Mutter es erzählt und mich gebeten, es dir zu sagen. Es ist dieser Helmut.«
»Nein!«, schrie ich plötzlich. Ich konnte einfach nicht anders. »Das kann nicht sein, ich habe nur einen Vater und das ist Papa!« Ich war aufgesprungen und ballte die Fäuste.
Papa stand auf, legte mir die Hand auf die Schulter und sagte: »Ganz ruhig, Janine. Reg dich nicht auf.«
Ich setzte mich wieder hin. Was sollte denn das jetzt bedeuten? Warum denn plötzlich noch ein zweiter Vater?
»Du hast doch auch zwei Mütter, eine Pflegemutter und eine leibliche Mutter, da ist es doch logisch, dass du neben deinem Pflegevater auch einen leiblichen Vater hast«, sagte Kerstin. Bei Kerstin war immer alles logisch.
Zwei Mütter, zwei Omas, das kannte ich, aber noch einen Vater? Das ging doch nicht. Mein Vater war doch Papa!
»Mein Vater ist Papa! Nur Papa! Die erzählt doch wieder nur Quatsch! Was soll das alles? Ich will das nicht!«, schrie ich, sprang auf, rannte aus dem Wohnzimmer, knallte die Tür hinter mir zu und stürmte die Treppe hoch in mein Zimmer, wo ich mich auf mein Bett warf und das Gesicht im Kissen vergrub. Konnte sie mich nicht einfach mal in Ruhe lassen mit ihrem Kram? Es machte mich so wütend!
Nach einer Weile klopfte es an der Tür. Ich sagte nichts, aber ich hörte, dass jemand die Türklinke herunterdrückte und hereinkam. Ich spürte eine Hand, die langsam über meinen Rücken streichelte.
»Hast du dich wieder ein bisschen beruhigt? Wollen wir noch einmal in Ruhe darüber reden?«, fragte Mama dicht an meinem Ohr.
»Mhm«, brummte ich und drehte mich langsam um.
Wir setzten uns nebeneinander auf die Bettkante.
»Es ist ziemlich außergewöhnlich, dass deine leibliche Mutter und dein leiblicher Vater jetzt wieder ein Paar sind, weißt du? Es kommt gar nicht so oft vor, dass sich zwei Menschen nach so langer Zeit wieder finden«, begann Mama.
»Wer sagt eigentlich, dass das stimmt, dass der mein Vater ist?«, fragte ich.
»Deine Mutter sagt, dass es stimmt.«
»Ich glaube ihr nicht! Sie hat doch schon so oft Quatsch erzählt.«
Mama seufzte: »Wir wissen es einfach alle noch nicht sicher. Und deshalb fordert dieser Mann jetzt, dass du einen Vaterschaftstest machst«, ihre Augen wurden ganz nass. Plötzlich nahm sie mich in den Arm und sagte schluchzend: »Nina, mein Mäuschen, es tut mir so schrecklich leid. Dass die dir das antun! Du bist noch viel zu klein für diese ganzen Dinge. Aber ich muss es dir doch
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