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Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)

Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)

Titel: Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Kunze
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eingehakt. Sie sah irgendwie dünner aus als sonst.
    Die Aufführung klappte ziemlich gut. Zum Beginn des rockigen Teils hatte ich einen ganz kleinen Patzer, aber das merkten zum Glück nur Frau Grundel, die in der ersten Reihe stand und eine Augenbraue hochzog, und ich. Als ich Oma nach der Aufführung umarmte, fiel mir auf, dass sie wirklich dünner geworden war. Sie sah auch anders aus. Irgendwie blasser, obwohl das unter so vielen Sommersprossen ja gar nicht richtig zu sehen war.
    »Warum bist du denn so dünn, Oma?«, fragte ich sie.
    »Na, das schadet ja mal nicht, wenn deine dicke Oma ein bisschen abnimmt, oder?«, sagte sie und lachte. »Ich hatte nur eine hartnäckige Erkältung, sonst ist nichts, mein Schätzchen«, erklärte sie dann noch. Also hatte ich doch richtig gesehen.
    Am Freitagabend war ich dann bei meiner Mutter. Sie und Helmut hatten Helmuts Freunde zu Besuch. Wir saßen um den großen Esstisch und die Erwachsenen unterhielten sich über uninteressantes Zeug, irgendwelche Lokale und Leute, von denen ich noch nie gehört hatte. Nach dem Essen stand ich auf und setzte mich ins Wohnzimmer auf die Couch. Im Zweiten kam Ich heirate eine Familie , aber das fand ich total doof. Im Ersten gab es irgendeinen amerikanischen Film. Auf dem Dritten kam eine Dokumentation über Singvögel. Na, das konnte ja ein toller Abend werden! Zum Glück gab es auch hier einen Videoschrank wie in der alten Wohnung meiner Mutter. Seit sie mit Helmut zusammen war, liehen sie sich nicht nur Videos aus, sondern nahmen auch viel aus dem Fernsehen auf. Ich entdeckte eine selbst beschriftete Videokassette, auf der stand: Ein Colt für alle Fälle, Folge 1   –   8 . Ein Colt für alle Fälle kam immer montagabends, aber zu Hause durfte ich es nicht gucken. Wenn ich dreizehn war, sagte Mama.
    »Darf ich Ein Colt für alle Fälle gucken?«, rief ich.
    Meine Mutter stand vom Esstisch auf und kam ins Wohnzimmer rüber. Sie setzte sich auf die Lehne der Couch.
    »Klar kannst du das gucken, aber das sind ganz alte Folgen, die kennst du bestimmt alle schon.«
    »Nee, ich hab das nur einmal geguckt, als ich in den Ferien bei Silvia übernachtet hab«, sagte ich.
    »Ach ja? Aber das kommt doch jeden Montag. Gefällt dir die Serie nicht? Ich finde sie eigentlich ganz cool.«
    »Ich darf das erst schauen, wenn ich dreizehn bin«, sagte ich und sah an ihr vorbei. Gleich danach wünschte ich, ich hätte gelogen oder gar nicht erst mit dem Thema angefangen.
    Meine Mutter verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. »Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder? Du darfst noch nicht mal Ein Colt für alle Fälle gucken? Das sind ganz schöne Tugendheimer da bei dir zu Hause, echt!« Sie lachte. »Wenn du bei mir wohnen würdest, das Erste, was ich machen würde, ich würde dir einen eigenen Fernseher kaufen. Man wird doch wohl ein bisschen Spaß haben dürfen, auch als Zwölfjährige, oder?« Sie grinste und strich sich die Haare aus dem Gesicht.
    Ich zwang mich zu einem kurzen Lächeln, dann drehte ich mich zum Fernseher und schob die Kassette in den Videorekorder. Ich starrte auf den Fernseher, auf dem gerade ein Mann von einer Klippe sprang, ein Auto in einen fahrenden Zug raste und zwei Männer sich blutig prügelten. Irgendetwas davon hätte ich jetzt auch gerne gemacht. So wütend war ich. Aber ich riss mich zusammen. Meine Mutter hielt die Unterhaltung wohl für beendet, denn sie ging zurück zum Esstisch und zu den Gästen. Gott sei Dank. Als der Vorspann vorbei war, ging es los. Ich schaute alle acht Folgen an.
    Am nächsten Tag fuhren wir mit dem Amischlitten zu einer Bäckerei und kauften Kuchen für die Verwandten, die heute kommen sollten. Ich kannte sie nicht.
    »Dein Onkel Hans und deine Tante Elke«, hatte Helmut gesagt.
    Es waren Helmuts Bruder und seine Frau. Ich hatte echt schon genügend Onkel und Tanten! Das würde sicher total langweilig werden.
    Sie kamen um drei Uhr. Nach der Begrüßung gingen wir ins Wohnzimmer. Helmut und meine Mutter setzten sich zusammen auf das große Sofa, auf dem ich immer saß, wenn ich fernsah, und auf dem ich schlief, wenn ich hier war. Onkel Hans und Tante Elke nahmen das andere, das links daneben stand. Ich setzte mich in den Sessel, dem Besuch gegenüber. Ich hatte den Couchtisch mit dem Kaffeegeschirr gedeckt. Die Servietten hatte ich zu Lilien gefaltet, wie Mama es mir gezeigt hatte.
    Meine Mutter goss Kaffee ein und erzählte dabei, wie lange sie schon in dieser Wohnung wohnten. Sie

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