Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)
die Realschule wollte. Ich nickte und sagte: »Ich möchte kein Abitur machen!«
Der Direktor schüttelte den Kopf.
Das erste Halbjahr der siebten Klasse musste ich noch auf dem Gymnasium fertigmachen. Ab Mitte Februar 1987 ging ich auf die Realschule. Und im März wurde ich endlich dreizehn und konnte jeden Montag Ein Colt für alle Fälle gucken.
Oma hatte bei der Aufführung von Music Was My First Love keine hartnäckige Erkältung gehabt, sondern einen Gehirntumor. Aber das erfuhr ich erst eineinhalb Jahre später.
Abschied von Oma
Niemals geht man so ganz, irgendwas von mir bleibt hier.
Es hat seinen Platz, immer bei dir.
TRUDE HERR
Zu meinem vierzehnten Geburtstag Ende März hatte Oma uns noch einmal zu Hause besucht. Da sah sie schon richtig schlecht aus. Sie war sehr dünn. Weil sie so klein war, sah es so aus, als würde sie langsam verschwinden. Im Gesicht hatte sie plötzlich Falten, die sie vorher nie gehabt hatte. Sie sagte, sie wäre sehr krank und es könnte sein, dass sie ins Krankenhaus gehen müsste. Zum Geburtstag hatte sie mir ein Geschenk mitgebracht, ein kleines, quadratisches Päckchen. In dem bunten Geschenkpapier war eine schwarze Schmuckschachtel, die man aufklappen konnte. Ich machte sie auf und darin lag ihr grün-goldenes Armband, das zu ihr gehörte wie ihre Sommersprossen und ihre dunkelbraunen Locken. Ich konnte mich gar nicht erinnern, sie jemals ohne dieses Armband gesehen zu haben. Ich strich mit den Fingerkuppen über die grünen Steine. Warum schenkte sie mir ihr Armband? Das trug sie doch immer selbst. Oma lächelte.
»Ich möchte, dass du etwas hast, das dich immer an mich erinnert. Deine Mama wird es für dich aufheben, bis du erwachsen bist und es selbst tragen möchtest. Meine Handgelenke sind so schmal geworden, es passt mir gar nicht mehr. Außerdem bin ich doch schon viel zu alt für so einen zarten Schmuck!«
Vier Wochen später war es dann so weit. Kurz nach dem Mittagessen rief meine Mutter an. Sie sprach mit Mama. Ich war gerade hochgegangen, stand oben an der Treppe und hörte zu. Als Mama aufgelegt hatte, kam ich runter und wir setzten uns an den Küchentisch. Mama war erschüttert. Sie hatte eine ganz belegte Stimme, als sie sagte:
»Deine Oma ist gestern ins Krankenhaus gekommen, Janine. Deine Mutter holt dich in einer Stunde ab, damit ihr sie zusammen besuchen könnt.«
Das war mal wieder typisch meine Mutter: Statt bei schlechten Nachrichten direkt mit mir zu sprechen, sprach sie mit Mama! Unser Verhältnis war im letzten Jahr nicht besser geworden, eher schlechter. Es regte mich immer mehr auf, dass sie über mein Leben bestimmen konnte. Und dass sie immer nur an sich dachte, dass immer alles so sein musste, wie es für sie am besten, am praktischsten, am bequemsten war. Was für mich oder für andere am besten war, interessierte sie gar nicht!
»Deine Oma ist so ein großartiger Mensch und jetzt diese schlimme Krankheit. Mein Gott, wie schrecklich«, Mama schüttelte leicht den Kopf, ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Das tut mir wirklich furchtbar leid, Janine!«
Das kam mir alles ganz unwirklich vor, deshalb sagte ich nur: »Die Arme. Was soll ich denn jetzt tun, Mama?«
»Wir werden jeden Abend für sie beten. Und vielleicht hilft es, wenn du deine Oma nicht spüren lässt, dass du dich gerade nicht so gut mit deiner Mutter verstehst. Das regt sie sicher nur auf.«
Mama hatte recht. Jetzt ging es um Oma, nicht um mich oder um meine Mutter. Oma würde sterben, weil sie einen Gehirntumor hatte. Das hatte meine Mutter Mama gerade erzählt. Ich konnte mir trotzdem nicht vorstellen, dass sie bald nicht mehr da sein würde. Ich konnte das einfach nicht glauben!
»Vielleicht wird sie ja doch noch gesund, oder, Mama?«
»Ja, vielleicht«, sagte Mama, aber sie sah sehr traurig aus.
Ich war auch traurig, aber ich konnte trotzdem nicht weinen.
Eine Stunde später klingelte es an der Tür und meine Mutter stand davor, um mich abzuholen und ins Krankenhaus zu fahren. Ich nahm Cheeta mit, das Stoffäffchen, das mir Oma geschenkt hatte, als ich ganz klein war, und steckte sie in meinen Rucksack. Vielleicht freute sich Oma darüber. Sie mochte ja auch so gerne Steiff-Tiere wie ich.
Meine Mutter sah total verheult aus. Mama kam in den Flur, nahm ihre Hand und drückte sie.
»Grüßen Sie Ihre Mutter ganz herzlich. Ich wünsche Ihnen beiden alles Gute und viel Kraft! Gott beschütze Sie«, sagte Mama. Ich wusste, dass sie es ehrlich meinte. Sie
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