Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)
aussteigen. Er notierte sich meinen Namen von der Monatskarte und fragte mich nach meiner Adresse. Er schrieb alles in ein Formular und gab mir den Durchschlag.
»Innerhalb der nächsten zwei Wochen muss das erhöhte Beförderungsentgelt von sechzig D- Mark beglichen werden. Entweder per Überweisung oder bar bei der Verwaltung der KVB .« Damit drehte er sich um und stieg in die nächste Bahn.
Ich nahm den Zettel und nickte. So ein Mist! Wo sollte ich denn jetzt sechzig Mark herbekommen? Mama würde ausflippen! Ich durfte ihr auf keinen Fall von der Sache erzählen. Das würde sie bloß in ihrer schlechten Meinung von mir bestätigen. Sie würde sofort denken, ich stünde mit einem Bein im Knast. Grübelnd ging ich in Richtung Sportplatz. Mist, Mist, Mist, wo bekam ich jetzt sechzig Mark her? Ich könnte Kerstin fragen, aber ich war mir nicht sicher, ob sie dichthalten oder es nicht doch Mama erzählen würde. Christian? Auf gar keinen Fall konnte ich ihn um so viel Geld bitten. Ich würde auf der Stelle vor Scham im Boden versinken. Zwanzig Mark hatte ich noch von meinem Taschengeld übrig. Aber das nächste Taschengeld gab es erst nächsten Monat. Und das wären auch keine vierzig Mark. Wenigstens hatte ich zwei Wochen Zeit, um das Geld irgendwie aufzutreiben. Irgendetwas würde mir schon einfallen, hoffte ich.
Auch am nächsten Tag würde ich mich noch nicht mit Christian treffen. Es war erst Dienstag. An Mamas mieser Stimmung mir gegenüber hatte sich seit letztem Wochenende mit dem Party-Super- GAU nichts geändert. Wir schwiegen uns weiter an. Mama hatte dunkle Ringe unter den Augen. Sie anzusehen, machte mich gleichzeitig traurig und wütend. Nie zuvor hatte ich mich so sehr wie das schwarze Schaf gefühlt.
Stefan erzählte beim Mittagessen aus der Schule, Mama fragte interessiert nach. Ich hatte einen Kloß im Hals und brachte fast nichts runter, obwohl es mein Leibgericht Spaghetti Bolognese gab. Ich konnte es kaum erwarten, in mein Zimmer zu gehen und allein zu sein.
Ich beteiligte mich nicht am Gespräch, aber das schien auch niemanden zu stören. Als ich nach dem Essen nach oben gehen wollte, hielt mich Mama zurück: »Janine, bleibst du noch mal eben?«
Was kam denn jetzt? Wollte sie sich doch noch entschuldigen? Oder hatte sich etwa die KVB bei ihr gemeldet? Kontaktierten die die Eltern, wenn man noch nicht achtzehn war und beim Schwarzfahren erwischt wurde? Ich hatte keine Ahnung. Stefan ging in sein Zimmer. Als wir alleine waren, sagte Mama mit unbewegter Miene:
»Deine Mutter hat heute angerufen.«
Ich hatte mit allem gerechnet. Einer weiteren Standpauke wegen der Party, einem Versöhnungsangebot, einer Grundsatzdiskussion über meinen angeblich so schlimmen Lebenswandel, einem riesigen Krach wegen dem Schwarzfahren. Aber nicht mit einem Anruf meiner Mutter.
»Sie bittet um deinen Rückruf. Melde dich mal bei ihr«, war alles, was Mama dazu zu sagen hatte, bevor ihre gesamte Aufmerksamkeit vom Abwasch in Anspruch genommen wurde.
Ich nickte. Wie lange hatte ich nicht mehr mit meiner Mutter gesprochen? Ich konnte mich nicht genau erinnern, aber es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Ich hatte überhaupt keine Lust, sie anzurufen. Ich hatte sie vor zwei Jahren aus meinem Leben verbannt. Und es nie bereut. Andererseits gab es in letzter Zeit so viel Streit mit Mama und Papa. Dass ich mich nicht mehr mit meiner Mutter traf, machte Mama schon die ganze Zeit zu schaffen. Das merkte ich, auch wenn wir nicht darüber sprachen. Es würde sicher wieder einen Riesenkrach geben, wenn ich mich jetzt weigerte, sie zurückzurufen. Mit Mama und Papa, aber vielleicht auch wieder mit dem Jugendamt.
Ich hatte das Gefühl, Mama und Papa verstanden mich immer weniger. Mamas Aktion an meiner Party letzten Samstag war nur ein zu deutliches Beispiel dafür. Würde meine leibliche Mutter mich besser verstehen? Ich schob den Gedanken sofort wieder beiseite. Das war Quatsch. Sie war ja fast eine völlig Fremde für mich. Und hatte sich nie wirklich für mich interessiert.
Ich seufzte. Mama würde keine Ruhe geben, bis ich sie anrief, also konnte ich es auch gleich machen.
»Ich sollte dich zurückrufen«, sagte ich möglichst neutral, als sie ans Telefon ging.
»Hallo, Janine, schön, dass du dich meldest! Ich wollte fragen, ob wir uns nicht mal wieder sehen können. Ich würde dich gerne zum Essen einladen, schließlich bist du letzte Woche sechzehn geworden. Das sollten wir feiern!«
Es war komisch, ihre Stimme zu
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