Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)
denn etwas, das du dir von mir wünschst?«
Ich überlegte. Darüber hatte ich mir nun gar keine Gedanken gemacht. Was sollte ich mir denn von ihr wünschen? Plötzlich kam mir eine Idee. Ob ich meine Mutter nach den sechzig Mark für die KVB fragen sollte? Würde ich Mama damit hintergehen? Ja … aber hatte sie mich nicht auch hintergangen, als sie einfach so meine Party beendet hatte, ohne vorher mit mir zu reden und ohne Rücksicht auf die Blamage vor all meinen Freunden?
Ich sagte: »Ja, vielleicht. Aber das ist ein bisschen doof.« Ich kam mir blöd vor. Aber gab es eine bessere Chance?
»Na los, spuck’s schon aus! Was möchtest du gerne haben?«
»Sechzig Mark.«
»Wozu brauchst du denn sechzig Mark?«, fragte sie verwundert.
Ich gab mir einen Ruck und erzählte ihr die ganze blöde KVB -Geschichte. Was sie über mich dachte, war mir völlig egal.
Sie lächelte nur und sagte: »Kind, das ist doch gar kein Problem. Da hast du einfach Pech gehabt. Das ist mir auch schon mal passiert. Mach dir keine Gedanken, die sechzig Mark gebe ich dir gerne und dann ist die blöde Sache ganz schnell aus der Welt und niemand erfährt davon.«
Mir fiel ein Riesenstein vom Herzen. Natürlich war mir klar, dass sie sich bei mir einschleimen wollte. Trotzdem war ich froh, dass sie dieses Problem für mich so unkompliziert löste.
Als ich am nächsten Tag aus der Schule kam und mich zum Mittagessen hinsetzte, legte mir Mama wortlos einen zusammengefalteten Brief hin. Es genügte ein Blick, um zu sehen, was das war. Oben auf dem Briefkopf prangte das rote Logo der KVB . Mir blieb das Herz stehen.
»Was hast du dazu zu sagen?«, fragte Mama nur. Sie war stinksauer.
Ich erzählte ihr die Geschichte. Genauso, wie sie gewesen war.
Sie seufzte. »Janine, du bekommst Taschengeld. Das ist für genau solche Dinge da: Statt dein gesamtes Geld für Klamotten und Schminke auszugeben, musst du lernen, damit hauszuhalten, damit du noch etwas übrig hast, wenn du dir eine Fahrkarte kaufen musst oder etwas anderes Unvorhergesehenes passiert.«
Sie wollte es schon wieder nicht verstehen! Dabei hatte ich ihr doch haarklein erzählt, wie alles gewesen war!
»Aber Mama, darum geht es doch gar nicht! Ich bin doch nicht absichtlich schwarzgefahren, oder weil ich kein Geld gehabt hätte. Ich habe wirklich einfach nur vergessen, mir eine Karte zu kaufen. Wieso glaubst du mir das nicht?«
»So was vergisst man doch nicht!«, antwortete sie.
Warum hatte die KVB überhaupt noch einen Brief an meine Eltern geschrieben? Ich hätte das Geld einfach heute Nachmittag eingezahlt und die Sache wäre erledigt gewesen. Jetzt hatte ich den Ärger am Hals. So ein Mist!
Ihre Miene blieb grimmig und ich sagte:
»Mama, du brauchst dich überhaupt nicht aufzuregen. Vergiss es einfach ganz schnell wieder. Ihr müsst das gar nicht bezahlen. Meine Mutter hat mir gestern die sechzig Mark gegeben und ich zahle sie heute Nachmittag bei der KVB ein.«
Mama erstarrte. »Du hast ihr davon erzählt?«
Ich nickte. »Was hätte ich denn machen sollen? Du machst mir doch gleich immer Vorwürfe und denkst dir wer weiß was! Du vertraust mir doch überhaupt nicht, obwohl ich gar nichts Schlimmes mache. Ich rauche nicht, ich trinke keinen Alkohol, und ich gehe nie länger auf Partys, als du es mir erlaubst. Trotzdem glaubst du, du müsstest mich einsperren! Ich bin doch kein kleines Kind mehr!« Jetzt wurde ich richtig wütend.
Mama war blass geworden. Sie sah völlig kraftlos aus, als sie sich langsam an den Küchentisch setzte. Ich sah, dass ihre Hände zitterten.
»Janine, bitte hör auf zu schreien.« Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: »Ich kann nicht mehr. Ich weiß einfach nicht mehr, was ich machen soll und woher ich die Kraft dafür nehmen soll. Du hältst dich an nichts, was wir verabreden. Ich kann nicht alles kontrollieren, ich habe auch noch drei andere Kinder und einen Mann!« Sie begann leise zu weinen. »Wenn es nicht geht, müssen wir uns eben etwas anderes überlegen«, sagte sie tonlos.
Ich war schockiert. So hatte ich Mama noch nie gesehen. Sie wirkte richtig verzweifelt.
»Mama, das mit der KVB tut mir wirklich leid …«, begann ich. Dann wusste ich nicht mehr, was ich sagen sollte.
Plötzlich wurde mir klar, wie sinnlos das alles war. Im Grunde konnte ich nur verlieren. Hielt ich mich immer genau an das, was Mama und Papa wollten, war ich überhaupt nicht ich selbst und saß meine ganze Jugend nur zu Hause. Ich würde mich so dazu
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