Geschichte der deutschen Sprache
Gedichte…
SOV
SVO
rez
em
Diese kleine Übersicht lässt erkennen, dass Hauptsätze in Form von Aussagen, Fragen und Aufforderungen in der Regel das Objekt nach dem Verb (dem Prädikat) setzen, also emissiv konstruieren. Rezeptive Konstruktionen, bei denen das Objekt jeweils dem Verb vorangeht, sind demgegenüber zwar möglich und drücken in diesen Beispielen eine besondere Betonung (Emphase) des Objektes aus; sie sind jedoch lediglich als Nebenkonstruktionen anzusehen. Im Falle (eingeleiteter) Nebensätze verhält es sich gerade umgekehrt: Die übliche Konstruktion besteht darin, das Objekt jeweils rezeptiv dem Verb voranzustellen und damit den Nebensatz gegenüber einem Hauptsatz abzuheben. Dass diese Regelung in der Standardsprache in einigen Fällen missachtet wird, ist eine Erscheinung der jüngeren Sprachgeschichte und vermutlich auf mundartliche bzw. umgangssprachliche Einflüsse zurückzuführen.
Die drei genannten Entwicklungen innerhalb des deutschen Satzbaus zeigen mindestens zwei Gemeinsamkeiten: Zum einen wird jeweils die im Mittelalter noch verhältnismäßig freie Stellung der betreffenden Wörter bzw. Satzglieder bis in die Neuzeit hinein mehr oder weniger auf eine bestimmte Stellung hin festgelegt. Zum anderen ist diese Stellung entweder emissiv oder rezeptiv, sodass keine eindeutige Entwicklung hin zu einem emissiven oder rezeptiven Sprachtyp festzustellen ist; die deutsche Sprache etabliert sich vielmehr im Laufe ihrer Geschichte als ein Mischtyp, bei dem beide Stellungsvarianten in Abhängigkeit von Wortarten oder Satzgliedern eine immer größere Verbindlichkeit (oder auch: syntaktische Konfigurationalität) erreichen.
Hier stellt sich nun die Frage, welche Gründe für eine höhere Konfigurationalität im Deutschen angegeben werden können. In der traditionellen Sprachwissenschaft wird dabei in der Regel etwa folgendermaßen argumentiert: Die Schwächung unbetonter Nebensilben bedinge einen Zusammenfall von Flexionsformen, sodass bestimmte Satzbestandteile anhand ihrer Form selbst nicht mehr eindeutig zu erkennen seien. Um aber eine solche Erkennbarkeit auch weiterhin zu gewährleisten, weiche die deutsche Grammatik gewissermaßen von der Formbildung auf den Satzbau aus und kennzeichne die betreffenden Satzbestandteile durch ihre Stellung im fertigen Satz. Diese Auffassung ist von der jüngeren Sprachwissenschaft aus verschiedenen Gründen nicht unwidersprochen geblieben – nicht zuletzt auch, weil diese Argumentation auch genau umgekehrt geführt werden kann: Hiernach ermögliche eine hohe Konfigurationalität erst die syntaktische Kennzeichnung einzelner Satzbestandteile und mache so deren Kennzeichnung durch Formen mehr oder weniger überflüssig, sodass eine Nebensilbenschwächung erst möglich werde. Gegen diese zweite Position spricht jedoch die sprachgeschichtliche Tatsache, dass Nebensilbenschwächung und Formenschwund in den Quellen früher spürbar werden als die Konfigurationalität der Satzbestandteile. Wie auch immer: Das gedankliche Experiment lässt noch einmal deutlich werden, wie verschiedene Entwicklungen auf Laut-, Form- und Satzebene ineinander greifen können.
3.5 Weitere Erscheinungen
Die deutsche Sprachgeschichte zeigt neben der Erhöhung emissiver und rezeptiver Konfigurationalität eine ganze Reihe weiterer syntaktischer Entwicklungen. Einige interessante Phänomene sollen im Folgenden kurz erläutert werden.
Immanuel Kant, wohl der bedeutendste Vertreter der deutschen Aufklärung und bekannt für seine genaue Ausdrucksweise, schreibt in der Einleitung zu seinem Hauptwerk, der «Kritik der reinen Vernunft» (1787):
So enthält die reine Vernunft, die uns anfangs nichts Geringeres als Erweiterung der Kenntnisse über alle Grenzen der Erfahrung zu versprechen schien, wenn wir sie recht verstehen, nichts als regulative Principien, die zwar größere Einheit gebieten, als der empirische Verstandesgebrauch erreichen kann, aber eben dadurch, dass sie das Ziel der Annäherung desselben so weit hinausrücken, die Zusammenstimmung desselben mit sich selbst durch systematische Einheit zum höchsten Grade bringen, wenn man sie aber missversteht und sie für constitutive Principien transscendenter Erkenntnisse hält, durch einen zwar glänzenden, aber trüglichen Schein Überredung und eingebildetes Wissen, hiermit aber ewige Widersprüche und Streitigkeiten hervorbringen.
Solche Satzkonstruktionen sind nicht nur für den Philosophen Kant, sondern auch für seine
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