Geschichte der deutschen Sprache
1624). Solche Ansprüche werden dann im Zeitalter der Aufklärung einmal mehr entwickelt und ausgesprochen. Die Aufklärung betont dabei die Selbstbestimmung und die Eigenverantwortlichkeit des menschlichen Individuums, mit Immanuel Kant gesprochen: den «Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit» (1784). Und sostellt sie die Dichtung nach Gotthold Ephraim Lessing auch folgerichtig in den Dienst der «Erziehung des Menschengeschlechts» (1780) zu Geschmack und Sittlichkeit, misst ihr also eine wichtige didaktische Funktion bei. Aus diesem Grunde finden sich nun neue Dramenkonzeptionen, die neben adligen auch bürgerliche Protagonisten zulassen und den dramatischen Konflikt zum Lehrbeispiel erheben (so beispielsweise in «Nathan der Weise» von Lessing und der darin enthaltenen «Ringparabel»). Beliebte literarische Gattungen der Aufklärung sind darüber hinaus Fabeln, die ebenfalls eine didaktische Funktion erfüllen, sowie Erziehungs- bzw. Bildungsromane (etwa «Anton Reiser» von Karl Philipp Moritz oder «Geschichte des Fräuleins von Sternheim» von Sophie La Roche). Sprache wird hierbei nicht nur als ein «Spiegel des Verstandes» (Leibniz), sondern auch als ein wichtiges Mittel menschlicher Erkenntnis verstanden. Dies schlägt sich in einem Sprachgebrauch nieder, der unter anderem gekennzeichnet ist durch strenge rhythmische Anlage im Versbau, begriffliche Klarheit und Deutlichkeit (durch Definitionen) und eine starke Hypotaxe (bei der ein komplexer Gedanke in einer differenzierten Aussage in einem einzelnen verschachtelten Satz gefasst werden soll).
Der Inhalt und die Sprache der fachlichen und dichterischen Literatur der Aufklärung werden nicht allein aus heutiger Sicht, sondern auch bereits aus der Sicht von Zeitgenossen als ausgesprochen sachlich und vernunftbetont, ja als «trocken» empfunden. Aus diesem Grund schließt sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit dem «Sturm und Drang» (Klinger) eine literarische Epoche an, die sich als Gegenbewegung zur Aufklärung versteht und die (persönliche wie politische) Freiheit des Menschen sowie dessen individuelle Entfaltung in den Vordergrund rückt. Wichtige Beispiele für diese Epoche sind etwa die «Sesenheimer Lieder» von J. W. Goethe, die Dramen von Friedrich Maximilian Klinger oder des jungen Friedrich Schiller wie zum Beispiel «Die Räuber» (1781) oder «Kabale und Liebe» (1784) sowie insbesondere der Briefroman «Die Leiden des jungen Werthers» (1774), der Goethe einen großen literarischen Erfolg beschert. Mit dem veränderten künstlerischenAnspruch ändert sich nun auch die sprachliche Gestaltung der literarischen Werke: Statt fester Rhythmen finden sich hier nunmehr zum Beispiel freie, ungebundene Rhythmen, die Wortwahl ist durch starke Expressivität (etwa einen Reichtum an Metaphern oder an Superlativen) gekennzeichnet, und der Satzbau zeigt anstelle strenger Hypotaxe oft Parataxe und zahlreiche Ellipsen. Doch wie schon derjenige zur Zeit der Aufklärung ist auch der literarische Sprachgebrauch des Sturm und Drangs zwar ein Vorbild für viele Schriftsteller, jedoch noch kaum eines für die Allgemeinheit.
Dies ändert sich erst mit der Sprache der Weimarer Klassik . Die Auswüchse der Französischen Revolution, die als solche noch von den Vertretern des Sturm und Drangs begrüßt wurde, lassen um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert den Wunsch nach einer friedlichen und gemeinsamen Umgestaltung der Gesellschaft und das Bild einer vollkommenen und humanen Gemeinschaft aufkommen. Im Rahmen dieses ästhetischen Idealismus wird der Dichtung wiederum eine didaktische und pädagogische Funktion zugeschrieben: Durch eine «ästhetische Erziehung» (Schiller), bei der er dem Wahren, Schönen und Guten begegnet, soll sich der Mensch zu einer ausgewogenen Persönlichkeit entwickeln. Vor diesem Hintergrund ist auch der Gebrauch der Sprache in den Werken Schillers und Goethes zu dieser Zeit nicht durch den Rationalismus der Aufklärung oder durch die Emotionalität des Sturm und Drangs geprägt; er zeigt vielmehr das Bemühen um eine Einheit von Form und Inhalt, die durch Ordnung und Maß sowie Proportionalität und Symmetrie geprägt ist. Als bedeutende Werke sind hier insbesondere Dramen zu nennen: «Iphigenie auf Tauris» (1787), «Egmont» (1788) und vor allem der «Faust» in seinen beiden Teilen (1808/1832) von Goethe oder «Wallenstein» (1799), «Maria Stuart» (1800) oder «Wilhelm Tell» (1804) von
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