Geschichte der deutschen Sprache
Schiller. Als weitere Vertreter, die dem Umfeld der Klassik zuzurechnen sind, seien hier etwa Friedrich Hölderlin, Heinrich von Kleist oder Jean Paul genannt, die eine eigenständige Dichtung entwickeln, welche zum Teil erst im 20. Jahrhundert eine hinreichende Würdigung erfährt. Die Sprache der Klassik entwickelt sich nichtallein in der Dichtung (sog. Epigonenliteratur), sondern auch in anderen Bereichen des literarischen Schaffens sowie im Sprachgebrauch an Schulen und Hochschulen zum Vorbild, indem man ihm (insbesondere im gebildeten Bürgertum) als Ideal nacheifert und ihn zur sprachlichen Norm erhebt: Man empfindet sich nunmehr in Deutschland als kulturelle und sprachliche Einheit – ein Umstand, der für die verschiedenen nationalen Bewegungen des 19. Jahrhunderts von großer Bedeutung ist.
Doch finden sich insbesondere auch in der Dichtungsliteratur des 19. Jahrhunderts Tendenzen, sich bewusst von der Sprache der Klassik zu distanzieren und neue sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten zu entwickeln. Hierzu zählt (und das noch zu Lebzeiten Goethes) die Romantik (auf den Vormärz soll hier nicht näher eingegangen werden), die durch den Einsatz eines stark ausgeprägten Rhythmus‘ und Merkmale gesprochener Sprache, den Gebrauch mundartlicher und vormals veralteter Ausdrücke sowie zahlreicher Metaphern nicht nur eine Distanzierung von der zeitgenössischen Dichtungs-, sondern auch von der rationalistischen Wissenschaftssprache ihrer Zeit versucht. Die Schriftsteller der Romantik (wie zum Beispiel Clemens von Brentano, Achim von Arnim, Novalis, Ludwig Tieck, E. T. A. Hoffmann, Joseph von Eichendorff und andere) sind im Rahmen ihres sog. universalpoetischen Ansatzes (Friedrich Schlegel) davon überzeugt, dass sich Sprache und Denken wechselseitig durchdringen: Mit dem Gebrauch von Sprache entstehe auch eine eigene, neue Wirklichkeit und sei nicht allein eine Verdeutlichung, wenn nicht Verbesserung der bestehenden Wirklichkeit verbunden.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind es dann vor allem Realismus und Naturalismus , die neue literarische und sprachliche Akzente setzen und sich damit sowohl von der Klassik als auch von der Romantik abzugrenzen versuchen. Dabei streben die Autoren des Realismus (wie etwa Theodor Fontane, Gustav Freytag, Theodor Storm, Gottfried Keller oder Friedrich Hebbel) an, die (bestehende) Wirklichkeit durch besonders typische Beispiele zu verdeutlichen und gegebenenfalls auch zu kritisieren. Dabei bedienen sie sich meist eines neutralen Stilsmit einfachem Satzbau und einfacher Wortwahl (wobei mundartliche Besonderheiten nicht gemieden werden); auf rhetorische Figuren wird weitgehend verzichtet, während Dialoge verfeinert dargestellt werden. Die Vertreter des Naturalismus (wie Arno Holz oder Gerhart Hauptmann) gehen hier sogar noch einen Schritt weiter. Um die Wirklichkeit nicht als Modell, sondern möglichst unverfälscht wiederzugeben und dabei möglichst treffende Beispiele der gesellschaftlichen (Miss-)Verhältnisse zu geben, entwickeln sie den sog. Sekundenstil (Adalbert von Hanstein, 1900): umfangreiche, im Stil neutrale Schilderungen und Regieanweisungen und eine differenzierte Wiedergabe von Mundarten, Fach- und Gruppensprachen sowie der sprachlichen und nicht sprachlichen Kommunikation.
Mit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert erfährt der Umgang mit Sprache in der dichterischen Literatur eine erhebliche Veränderung: So wenden sich der Symbolismus (um Stefan George) durch das Spiel mit Laut und Schrift, eine hohe Assoziativität des Wortgebrauchs und eine deutliche Rhythmisierung des Satzbaus sowie die Dekadenzliteratur (Rainer Maria Rilke, Hugo von Hofmannsthal, Thomas Mann und viele andere) durch stilistische Verfeinerung und ironisches Zitieren sowie eine stark psychologisierende Darstellung von Figuren vehement von der Sprache des Alltags und der des Realismus ab. Sie versuchen jeweils eine eigene Kunstwelt zu erschaffen, aber auch die Grenzen des Sprachgebrauchs angesichts der Darstellung menschlicher Wirklichkeit deutlich werden zu lassen. So ist es vor allem die sog. Sprachkrise, die sich im Chandos-Brief von Hofmannsthal (1902) äußert: Die zahlreichen Versuche, literarische Sprache zu verfeinern und dabei eine bestehende oder erschaffene Wirklichkeit wiederzugeben, werden zunehmend als unzureichend empfunden. Aus dieser Skepsis an der literarischen Sprache im Besonderen, aber auch an der Sprache im Allgemeinen heraus resultiert eine scharfe Kritik:
Weitere Kostenlose Bücher