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Geschichte der deutschen Wiedervereinigung

Geschichte der deutschen Wiedervereinigung

Titel: Geschichte der deutschen Wiedervereinigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Rödder
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Montagsdemonstration am 9. Oktober standen also auf Konflikt. Würde die DDR-Führung zur «chinesischen Lösung» greifen, mit der sie sich im Juni 1989 demonstrativ solidarisiert hatte, und eine Protestbewegung mit militärischer Gewalt niederschlagen? Es wäre eine Verzweiflungstat mit äußerstem Risiko und unabsehbaren Folgen gewesen. Erich Honecker jedenfalls schien dazu bereit. 8000 bewaffnete Kräfte – Volkspolizei, Kampfeinheiten des MfS, Betriebskampfgruppen und 1500 Soldaten der NVA in Reserve – bezogen am 9. Oktober 1989 in der Leipziger Innenstadt Position, und 5000 «gesellschaftliche Kräfte» – Mitglieder und Mitarbeiter von SED und staatlichen Organen – suchten sich unter die Demonstranten zu mischen. Als es aber zum Schwur kam, schreckten die Verantwortlichen – vor Ort und soweit erreichbar auch in Ost-Berlin – vor dem offenen militärischen Einsatz zurück.
    Während des Friedensgebetes in der Nikolaikirche entstandwohl an jenem Abend des 9. Oktober die Parole, unter der sich die Bürgerbewegung in den entscheidenden Wochen sammelte. Während die vor der Kirche wartende Menge «Wir sind keine Rowdys» skandierte, um Honeckers kriminalisierendes Stigma zurückzuweisen, rief ein Einzelner, wie überliefert wird, in diese Sprechchöre hinein: «Wir sind das Volk!» Dies wurde zur Losung, mit der die Bürgerbewegung gegen die sozialistischen Machthaber den Anspruch auf Volkssouveränität formulierte. «Keine Gewalt» war das andere Motto dieser Bürgerbewegung. Betende und friedliche Menschen mit Kerzen unterliefen die Erwartungen und Verhaltensweisen, die Feindbilder und Sprachmuster der staatlichen Führung und der Sicherheitskräfte und machten diese umso hilfloser.
    Geradezu überrollt wurden die Einsatzkräfte schließlich von der schieren Masse, der unerwartet hohen Zahl der Demonstranten, die sich nach dem Ende der Friedensgebete zwischen 18.15 und 18.30 Uhr ohne erkennbare Führung in Bewegung setzten. Die Einsatzleitung ging zur «Eigensicherung der Einsatzkräfte» über, und so zogen 70.000 Menschen ungehindert über den gesamten Leipziger Innenstadtring und forderten in Sprechchören die Zulassung des Neuen Forums, Reformen, freie Wahlen und einen Führungswechsel.
    Mit der «Kapitulation der Staatsmacht in Leipzig» (Hans-Hermann Hertle) hatte das Regime die letzte Möglichkeit verstreichen lassen, Massendemonstrationen und Bürgerbewegung gewaltsam zu unterdrücken. Zunehmend griff der Protest nun auch auf bislang regimeloyale Bürger und auf Mitglieder der SED und ihrer Organisationen selbst über. Viele Mitglieder der SED sprachen, so ein Bericht der Staatssicherheit, «ganz offen darüber, dass die Partei- und Staatsführung nicht mehr in der Lage und fähig sei, die Situation real einzuschätzen und entsprechende Maßnahmen für dringend erforderliche Veränderungen durchzusetzen». Unterdessen gingen am 16. Oktober über 100.000 Demonstranten auf die Straße, die sich in Transparenten und Sprechchören nun ungleich selbstbewusster zeigten. Die SED-Führung verlor die Kontrolle über das Land und löste sich binnen weniger Wochen in Konfusion auf. Bis zuletzt hatten diewenigsten Mitglieder des Politbüros den Ernst ihrer Lage überhaupt erfasst.
    «Selbstkritik hilft nichts» – so kommentierte Honecker die Lage, als das Politbüro am 10. und 11. Oktober ungewöhnliche 15 Stunden lang tagte. Wie eh und je zog er in den bekannten Formeln und mit den üblichen Zahlen die gewohnte Erfolgsbilanz von DDR und SED, die sich in materiellen Daten erschöpfte und für gesellschaftlich-politische Fragen keinen Sinn hatte: Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik, Steigerung der Arbeitsproduktivität und der Löhne, Wohnungsbau und «Kindergrippen» (so Honeckers handschriftliche Notizen), 1000 Mark Geburtshilfe für jedes Kind, Kindergeld und Renten. Erstmals aber sprachen Mitglieder des Politbüros in seiner Gegenwart nun die «Sprachlosigkeit» der Parteiführung an und forderten, die SED müsse «Dialog nach innen machen».
    Bis zur nächsten Sitzung des Politbüros am Dienstag, dem 17. Oktober, hatte sich die Situation noch einmal deutlich zugespitzt. Die «Lage ist so beschissen, wie sie noch nie in der SED war», brachte ein Mitglied die Dinge ohne Rücksicht auf das Protokoll auf den Punkt. Inzwischen hatte sich Egon Krenz zum Handeln entschlossen und mit drei weiteren Politbüromitgliedern vereinbart, Honecker zu stürzen. Gleich zu Beginn der Sitzung überraschte

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