Geschichte der deutschen Wiedervereinigung
15 Milliarden D-Mark für die DDR ab, die Modrow zu einem Regierungsbesuch am 13. und 14. Februar mit nach Bonn brachte. Matthias Platzeck, einer der Ost-Berliner Minister ohne Geschäftsbereich, brachte die gesamte Enttäuschung der Oppositionsbewegung in der DDR zum Ausdruck, wie das Protokoll ausweist: «Es gebe den Eindruck einer gewissen Fremdsteuerung. Hilfe der BRD wäre früher notwendig gewesen. […] Mit den ‹Brüdern und Schwestern› dürfe man nicht taktieren. Die Ziele des Oktobers dürften nicht umsonst gewesen sein.» «Das Klima ist frostig», bemerkte auch Helmut Kohl, «die Delegation aus Ost-Berlin fühlt sich gedemütigt.» In aller Deutlichkeit zeichnete sich die Dominanz ab, die der Bonner Exekutive um die Jahreswende 1989/90 zugefallen war und mit der sie fortan den Weg bestimmte, der zur Wiedervereinigung führte.
Am Runden Tisch in Ost-Berlin herrschte Verbitterung. Dafür «schimmerte eine neue DDR-Identität auf, eine jetzt gegen die Bundesrepublik gerichtete Solidargemeinschaft», notierte der westdeutsche Politikwissenschaftler Uwe Thaysen, der die gesamten Beratungen des Runden Tisches als Augenzeuge verfolgte und dokumentierte. Eine Mischung aus «Selbstwertbehauptung und Wagenburgmentalität» kam auf. Demgegenüber richtete sich die Orientierung breiter Teile der Bevölkerung in der DDR immer mehr auf die Bundesrepublik. Schon Anfang Januar überwogen auf den noch stattfindenden Demonstrationen die Stimmen für die deutsche Einheit, und zunehmend machte sich Ungeduld breit, die auf bessere, auf westdeutsche Lebensbedingungen zielte: «Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, geh’n wir zu ihr!»
Klärung in dieser uneindeutigen Situation konnten nur freie Wahlen bringen – die dritte zentrale Aufgabe des Runden Tisches –, in denen sich das Selbstbestimmungsrecht der Ostdeutschen durch Mehrheitsentscheidung manifestierte. Ende Januar wurde der Wahltermin für die ersten freien Volkskammerwahlen in der Geschichte der DDR unter dem Druck der Ereignisse auf den 18. März vorverlegt.
5. Weichenstellungen für die Einheit
In der Bundesrepublik lag wenig, ja faktisch keinerlei verlässliches Wissen über den Zustand der Volkswirtschaft der DDR vor. Dem augenscheinlichen Eindruck maroder Gebäude, heruntergekommener Anlagen und verfallener Infrastruktur standen Zahlen wie diejenige von der zehntgrößten Volkswirtschaft der Welt, einem Netto-Nationaleinkommen von 1,4 Billionen DDR-Mark oder einem Staatseigentum von 6,2 Millionen Hektar an Grund und Boden gegenüber, wie sie Hans Modrow voller Überzeugung nannte. Auch der Gang der weiteren ökonomischen Entwicklung war, aus östlicher wie aus westlicher Perspektive, schwer abschätzbar.
Grundsätzlich aber herrschte in der Bundesregierung und auch bei führenden Vertretern der westdeutschen Wirtschaft dieErwartung vor, dass der Zustand der DDR überwindbar sei und eine schnelle Aufwärtsentwicklung, ja ein «Wirtschaftsboom» (Helmut Kohl) einsetzen werde, wenn erst die Rahmenbedingungen für eine Marktwirtschaft nach bundesdeutschem Vorbild geschaffen seien – es war die optimistische Erwartung der «Generation Bundesrepublik», gespeist aus den Erfahrungen des Wirtschaftswunders und der bundesdeutschen «Erfolgsgeschichte» nach 1945. Dass sich die DDR dann innerhalb von fünf Jahren in ein «wirtschaftlich blühendes Land» verwandelt haben werde, war Helmut Kohls volle Überzeugung. Selbst der in vieler Hinsicht skeptische Bundesbankpräsident Pöhl ging davon aus, dass zwar «riesige Transferleistungen erforderlich» seien, «wir sollten uns von diesen großen Zahlen jedoch nicht schrecken lassen. Am Ende werde Deutschland wohlhabender sein als heute.»
Eine solch optimistische Prognose gab den Akteuren die nötige Zuversicht, den ebenso unabsehbaren wie risikoreichen und völlig unerprobten Weg zur raschen Herstellung der deutschen Einheit einzuschlagen. Anfang Januar 1990 wurde angesichts der Entwicklung in der DDR klar, dass der Zwischenschritt einer Konföderation oder konföderativer Strukturen, den Kohls Zehn-Punkte-Programm vorgesehen hatte, ebenso übersprungen werden musste wie eine deutsch-deutsche Vertragsgemeinschaft. Stattdessen ging die Bundesregierung Ende Januar und Anfang Februar, so eine Aufzeichnung aus dem Kanzleramt, zu einer «Politik der großen Schritte» über.
Am 6. Februar schlug Kohl öffentlich eine deutsch-deutsche «Währungsunion auf der Grundlage unmittelbar einzuleitender,
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