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Geschichte der deutschen Wiedervereinigung

Geschichte der deutschen Wiedervereinigung

Titel: Geschichte der deutschen Wiedervereinigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Rödder
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zugleich um die nationale Sicherheit und die Position Frankreichs in Europa, befürchtete eine französische Unterlegenheit gegenüber einem Deutschland, das – aus französischer Sicht – mit seiner ökonomischen Stärke und seiner Währung in Europa ohnehin bereits allzu sehr dominierte.
    Am Rande des Straßburger EG-Gipfels am 8./9. Dezember trafen sich Thatcher und Mitterrand zu zwei Unterredungen. Der französische Präsident sei, wie Thatcher überliefert, über die Entwicklung in Deutschland noch besorgter gewesen als sie. Er fürchtete, so die britischen Aufzeichnungen, «dass er und die Premierministerin sich in der Situation ihrer Vorgänger in den 1930er Jahren wiederfänden, die es versäumt hatten, auf das beständige Vorwärtsdrängen der Deutschen zu reagieren. […] Wir könnten uns in einer Position wiederfinden, in der wir ‹nein› zu den Deutschen sagen müssen. In Augenblicken großer Gefahr habe Frankreich in der Vergangenheit stets besondere Beziehungen zu England unterhalten. Er spüre, dass eine solche Zeit wiedergekommen sei.»
    Unter den Vier Mächten nahmen einzig die USA eine grundsätzlich positive Haltung zur deutschen Einheit ein. In Washington war im Januar 1989 die Regierung Bush ins Amt gekommen. Sie sah sich, wie es Außenminister Baker formulierte, durch die permanenten internationalen «Charme-Offensiven»Gorbatschows in der Weltöffentlichkeit in die Defensive gedrängt und nahm daher zunächst eine strategische Bestimmung ihrer Außenpolitik vor. Im Mai 1989 verkündete Bush das Ziel, «die Teilung Europas zu überwinden und eine auf westlichen Werten gegründete Einheit zu schmieden». In der Mainzer Rheingoldhalle erhob er die programmatische Forderung: «Let Europe be whole and free.» Da ein geeintes und freies Europa sich nicht mit einem zwangsweise geteilten Deutschland vereinbaren ließ, lag die Konsequenz für die Deutschlandpolitik auf der Hand: Öffentlich avisierte die US-Regierung einen «Zustand des Friedens in Europa, in dem das deutsche Volk seine Einheit durch freie Selbstbestimmung wiedergewinnt.»
    Als das sowjetische Imperium im Herbst 1989 zusammenbrach, wandelte die amerikanische Offensive der westlichen Werte auf schmalem Grat zwischen missionarischer Ideologie und Realpolitik, um den Kalten Krieg im Sinne der westlichen Demokratie zu gewinnen, ohne den Verlierer gefährlich zu düpieren. Daher verhielt sich die US-Regierung nach dem Fall der Mauer demonstrativ zurückhaltend, statt öffentlich zu triumphieren. Auf Kohls Zehn Punkte freilich reagierte sie gleich am folgenden Tag mit vier Prinzipien, auf deren Grundlage Washington fortan die deutsche Wiedervereinigung unterstützte: erstens die ergebnisoffene Verwirklichung des Prinzips der Selbstbestimmung, zweitens der Verlauf in einem schrittweisen, nicht überstürzten Prozess, drittens die Unverletzlichkeit der Grenzen in Europa – und vor allem schließlich: die fortdauernde Zugehörigkeit eines vereinten Deutschland zur NATO und zur Europäischen Gemeinschaft. Das war nicht mehr und nicht weniger als die Forderung einer deutschen Einheit zu westlichen Maximalkonditionen.
    Dass die vier Siegermächte des Zweiten Weltkrieges in der deutschen Frage ein gewichtiges Wort mitzureden gedachten, demonstrierten sie am 11. Dezember 1989, als auf sowjetische Initiative ihre vier Botschafter an einem hochsymbolischen Ort zusammenkamen: im Gebäude des Alliierten Kontrollrats in Berlin, der 1945, nachdem sie die staatliche Souveränität in Deutschland an sich genommen hatten, als oberstes Gremiumder Alliierten eingerichtet und 1948 durch den Auszug des sowjetischen Vertreters gesprengt worden war. Und: Drei der vier Mächte standen einer deutschen Wiedervereinigung deutlich skeptisch, um nicht zu sagen ablehnend gegenüber, die im Übrigen auch bei vielen weiteren Regierungen auf Widerstände stieß, in Israel etwa, in Italien oder in den Niederlanden.
    Zur gleichen Zeit hielt Mitterrand geradezu ostentativ an einem Besuch in der DDR fest, sein Außenminister sprach öffentlich von dem Punkt, «wo der Wille der einen auf den Widerstand der anderen stoßen kann», und sogar die amerikanische Regierung riet dem Bundeskanzler, «vorsichtiger mit den Sowjets, Briten und Franzosen umzugehen», – die internationalen Widerstände waren so stark geworden, dass Kohl Mitte Dezember offenkundig für einen Moment erwog, ein Moratorium in der Frage einer Wiedervereinigung anzubieten. Die innerdeutsche und die

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