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Geschichte der deutschen Wiedervereinigung

Geschichte der deutschen Wiedervereinigung

Titel: Geschichte der deutschen Wiedervereinigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Rödder
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deutsche Frage, die das 19. und 20. Jahrhundert immer wieder in Atem gehalten hatte, staatsrechtlich definitiv beantwortet.
    Mit dem Vollzug der staatlich-politischen Einheit waren die ökonomischen, gesellschaftlichen und kulturellen Probleme freilich noch keineswegs gelöst. Vielmehr stellte sich die Herstellung der «inneren Einheit» als viel langwieriger und mühsamer dar, als in der Euphorie der deutschen Revolution erwartet – in Ost und West.
2. Währungsunion und Deindustrialisierungsschock
    Mit dem Angebot der «Währungsunion mit Wirtschaftsreformen» vom 7. Februar 1990 hatte sich die Bundesregierung, statt auf ein Stufenmodell, auf einen schlagartigen Übergang zu D-Mark und Marktwirtschaft in der DDR festgelegt. Die Übertragung der D-Mark bei gleichzeitiger Aufgabe der Ost-Mark war voller Unwägbarkeiten und Risiken. Dies galt insbesondere im Hinblick auf den Umtauschkurs, der sich bald als zentrale Streitfrage herausstellte. Während die Wechselkursparität von DDR-Mark zu D-Mark im innerdeutschen Handel bei 4,4:1 lag und die D-Mark auf dem freien Markt zu einem Kurs von 1:8 bis 1:9 gehandelt wurde, zielten die Erwartungen in der DDR auf eine Relation von 1:1.
    Eine Umstellung im Verhältnis 1:1 und zusätzliche Lohnerhöhungen als Ausgleich für die steigenden Konsumgüterpreise und Sozialbeiträge sowie für die wegfallenden Subventionen drohten ein Lohnniveau zu etablieren, das für die Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen tödlich war. Andererseits drohte ein zugeringes Lohnniveau gewaltige soziale Differenzen im vereinten Deutschland festzuschreiben, massive Unzufriedenheit zu schüren und weitere Abwanderung aus der DDR zu forcieren.
    Seit Ende Februar verstärkten sich im Bundesfinanzministerium und bei der Bundesbank die Zweifel an der ökonomischen Vertretbarkeit eines Umstellungskurses von 1:1. Zwar lag das Lohnniveau in der DDR deutlich unter demjenigen im Westen, die Arbeitsproduktivität aber war noch geringer und vor allem noch niedriger als erwartet: Realiter lag sie unter 30, wenn nicht gar bei 20 Prozent. Als der Zentralbankrat am 29. März beschloss, die laufenden Zahlungen, die Bankguthaben über 2000 Mark und die Verbindlichkeiten «im Verhältnis 2 Mark der DDR: 1 DM umzustellen» (Guthaben bis 2000 Mark sollten im Verhältnis 1:1 umgetauscht, zudem sollten Sparer an Treuhand- und Privatisierungserlösen der DDR beteiligt werden), brach ein Sturm der Entrüstung los. Alle Parteien in der DDR hatten sich während des Volkskammerwahlkampfes für einen Kurs von 1:1 eingesetzt, und Kohl hatte den Kleinsparern eine 1:1-Umstellung ihrer Sparkonten versprochen. Für die ostdeutsche Seite und ihre Regierung stellte der Umstellungskurs von 1:1 einen
Casus belli
dar. Zugleich schwand die Unterstützung in der westdeutschen Politik für die ökonomisch begründete 2:1-Position. In der Tat waren eine Halbierung der ohnehin niedrigen Ostmark-Beträge und eine dementsprechende Differenz der Lohn- und Gehaltsniveaus innerhalb Deutschlands – die Ostlöhne hätten großenteils weniger als 20 Prozent der Westlöhne betragen – in der sozialen Realität kaum vorstellbar.
    Der schließlich gefundene Kompromiss sah eine Umstellung der Löhne und Gehälter im Verhältnis 1:1 vor. Bargeld und Sparguthaben sollten bis zu einer nach Lebensalter abgestuften Höhe zwischen 2000 und 6000 Mark zum Kurs von 1:1 umgestellt werden, darüber hinausgehende Beträge 2:1, ebenso die Verbindlichkeiten. Mit einem durchschnittlichen Gesamtumstellungskurs von 1,8:1 wurde die Mark der DDR um das Zwei- bis Dreifache ihres marktüblichen Tauschwerts aufgewertet. Das Dilemma war dramatisch – diese Umstellung gab der DDR-Wirtschaftden endgültigen Todesstoß; gesellschaftlich-politisch aber war sie nicht zu vermeiden.
    Die schlagartige «Ausdehnung des westdeutschen Währungsgebietes auf die DDR» zum 1. Juli 1990 war ein logistischer Kraftakt. Vor allem bedeutete er, in Verbindung mit dem abrupten Übergang zu einer Marktwirtschaft, eine Schocktherapie für die DDR, die um so radikaler ausfiel, als ihre ökonomischen Potentiale sich als weit weniger leistungsfähig herausstellten denn erwartet.
    Erste Ansätze für eine Privatisierung der ostdeutschen Wirtschaft, geleitet allerdings von dem Willen, so viele planwirtschaftliche Elemente wie möglich zu erhalten, hatte die Regierung Modrow bereits im Winter 1989/90 eingeleitet. Wieder aufgerollt wurde diese Frage von der neuen DDR-Regierung im Zusammenhang mit

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