Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
mißtrauisch begegneten, konnte in der Soldatensektion erfolgreich zum akuten Thema, über Disziplin, sprechen. "Warum sind die Stimmungen im Sowjet", fragte er sich, "milder und angenehmer als beim Bataillon?" Diese naive Ahnungslosigkeit beweist zum Überfluß, wie schwer es für die wahren Gefühle der unteren Schichten ist, sich einen Weg nach oben zu bahnen.
Nichtsdestoweniger begannen die Meetings der Soldaten und Arbeiter schon seit dem 3. März vom Sowjet zu fordern, unverzüglich die Provisorische Regierung der liberalen Bourgeoisie zu beseitigen und die Macht selbst in die Hand zu nehmen. Die Initiative gehörte auch hier dem Wyborger Bezirk. Konnte es auch eine Forderung geben, die den Massen verständlicher und näher gewesen wäre? Aber diese Agitation brach bald ab: nicht nur deshalb, weil die Vaterlandsverteidiger sie scharf zurückwiesen; schlimmer war, daß die bolschewistische Führung in der ersten Märzhälfte sich faktisch vor dem Regime der Doppelherrschaft beugte. Außer den Bolschewiki aber konnte niemand die Machtfrage auf die Spitze treiben. Die Wyborger Führer mußten den Rückzug antreten. Die Petrograder Arbeiter schenkten indes der neuen Regierung nicht eine Stunde Vertrauen und betrachteten sie nicht als die ihre. Doch horchten sie wachsam auf die Soldaten, bemüht, sich zu ihnen nicht zu schroff in Widerspruch zu stellen. Die Soldaten dagegen, die eben die ersten Sätze der Politik silbenweise entzifferten, trauten zwar nach Bauernart den Herren nicht, horchten aber aufmerksam auf ihre Vertreter, die ihrerseits ehrerbietig auf die autoritativen Häupter des Exekutivkomitees horchten; was die letzteren betrifft, so taten sie nichts anderes, als auf den Puls der liberalen Bourgeoisie zu horchen. Auf diesem Horchen von unten nach oben hielt sich eben alles - bis auf weiteres.
Doch die Stimmung der unteren Schichten brachen nach außen, und die künstlich abgesetzte Machtfrage drängte sich jedesmal vor, wenn auch in maskierter Form. "Die Soldaten wissen nicht, auf wen zu hören ist", klagten Bezirke und Provinz, auf diese Weise die Unzufriedenheit mit der Doppelherrschaft dem Exekutivkomitee bekanntgebend. Die Delegationen der Baltischen und der Schwarzmeer-Flotte erklärten am 16. März, sie seien bereit, der Provisorischen Regierung in dem Maße Rechnung zu tragen, in dem diese mit dem Exekutivkomitee zusammengehen werde. Mit anderen Worten, sie hatten vor, mit ihr überhaupt nicht zu rechnen. Je weiter, um so beharrlicher klingt diese Note. "Armee und Bevölkerung haben nur den Anordnungen des Sowjets Folge zu leisten", bestimmt das 172. Reserveregiment und formuliert sogleich das umgekehrte Theorem: "Befehlen der Provisorischen Regierung, die den Beschlüssen des Sowjets widersprechen, ist nicht Folge zu leisten." Mit gemischten Gefühlen von Befriedigung und Besorgnis sanktionierte das Exekutivkomitee diesen Zustand. Mit Zähneknirschen duldete ihn die Regierung. Beiden blieb nichts anderes übrig.
Schon Anfang März entstehen Sowjets in allen wichtigen Städten und Industriezentren. Von dort aus verbreiten sie sich während der nächsten Wochen über das ganze Land. Das Dorf beginnen sie erst im April-Mai zu erfassen. Im Namen der Bauernschaft spricht anfangs hauptsächlich die Armee.
Das Exekutivkomitee des Petrograder Sowjets erhielt natürlicherweise gesamtstaatliche Bedeutung. Die übrigen Sowjets richteten sich nach der Hauptstadt und faßten einer nach dem andern Beschlüsse über die bedingte Unterstützung der Provisorischen Regierung. Obwohl sich in den ersten Monaten die Beziehungen zwischen dem Petrograder Sowjet und denen der Provinz reibungslos herausbildeten, ohne Konflikte und ernstliche Mißverständnisse, ergab sich die Notwendigkeit einer gesamtstaatlichen Organisation aus der ganzen Lage. Einen Monat nach der Niederwerfung des Selbstherrschertums wurde die erste Konferenz der Sowjets einberufen, sie war unvollständig und in ihrer Zusamme n-setzung einseitig. Obwohl von den 185 vertretenen Organisationen zwei Drittel den lokalen Sowjets gehörten, waren es doch vorwiegend Soldatensowjets; zusammen mit den Vertretern der Frontorganisationen hatten die Delegierten der Armee, hauptsächlich Offiziere, die erdrückende Mehrheit. Es ertönten Reden vom Krieg bis zum siegreichen Ende und Zurechtweisungen an die Adresse der Bolschewiki, trotz deren mehr als maßvollem Benehmen. Die Konferenz ergänzte das Petrograder Exekutivkomitee durch 16 konservative Provinzler
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