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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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das Übergewicht ... Wir erklären, daß wir eine Linke gebildet und mit dem Zentrum gebrochen haben ... Die Richtung des linken Zimmerwald existiert in allen Ländern der Welt. Die Massen sollen erfahren, daß der Sozialismus in der ganzen Welt gespalten ist ... "
    Drei Tage zuvor hatte Stalin auf der gleichen Konferenz seine Bereitschaft verkündet, die Meinungsverschiedenheiten mit Zeretelli auf der Basis von Zimmerwald-Kienthal auszutragen, das heißt auf der Basis des Kautskyanismus. "Ich höre, daß in Rußland eine Vereinigungstendenz besteht", sagte Lenin, "eine Vereinigung mit den Landesverteidigern, -das ist Verrat am Sozialismus. Ich glaube, es ist besser, allein zu bleiben, wie Liebknecht, Einer gegen 116!" Die Beschuldigung des Verrats am Sozialismus, vorläufig noch namenlos, ist hier nicht einfach ein starkes Wort: sie drückt vollständig die Stellung Lenins gegen jene Bolschewiki aus, die den Sozialpatrioten einen Finger entgegenstrecken. Im Gegensatz zu Stalin, der es für möglich erachtet, sich mir den Menschewiki zu vereinigen, hält Lenin es für unzulässig, noch weiterhin mit ihnen den Namen Sozialdemokratie gemeinsam zu tragen. "Für meine Person", sagt er, "schlage ich vor, den Namen unserer Partei zu ändern und uns Kommunistische Partei zu nennen." "Für meine Person" - das bedeutet, daß niemand, kein einziger Teilnehmer der Konferenz, mit dieser symbolischen Geste des endgültigen Bruchs mit der Zweiten Internationale einverstanden war.
    "Ihr fürchtet, alten Erinnerungen untreu zu werden", sagt der Redner den betretenen, bestürzten, teils auch entrüsteten Delegierten. Doch die Zeit ist da, "die Wäsche zu wechseln, - man muß das schmutzige Hemd ausziehen und ein sauberes anziehen." Und wieder und wieder drängt er: "Klammert euch nicht an ein altes Wort, das durch und durch verfault ist. Habt den Willen, eine neue Partei aufzubauen ... - und es werden alle Unterdrückten zu euch kommen."
    Die Größe der bevorstehenden Aufgaben, die geistige Verwirrung in den eigenen Reihen, der scharfe Gedanke an die wertvolle Zeit, die sinnlos vergeudet wird für Empfänge, Begrüßungen, rituale Resolutionen, entreißt dem Redner den Schrei: "Genug der Begrüßungen und Resolutionen - es ist Zeit, zur Sache zu schreiten, man muß zur sachlichen, nüchternen Arbeit übergehen!"
    Eine Stunde später ist Lenin gezwungen, in der allgemeinen Versammlung der Bolschewiki und Menschewiki seine Rede zu wiederholen, wo sie die Mehrzahl der Zuhörer als ein Mittelding zwischen Hohn und Fieberwahn erscheint. Die Nachsichtigeren zucken die Achseln. Dieser Mann ist offenbar vom Monde gefallen: nach zehn Jahren Abwesenheit, kaum die Stufen des Finnländischen Bahnhofs heruntergestiegen, predigt er die Machteroberung durch das Proletariat. Die weniger Gutmütigen unter den Patrioten erwähnen den plombierten Wagen. Stankewitsch bezeugt, daß das Auftreten Lenins dessen Gegner sehr erfreut habe: "Ein Mann, der solche Dummheiten spricht, ist ungefährlich. Gut, daß er gekommen ist, jetzt ist er allen sichtbar ..., jetzt widerlegt er sich selbst."
    Indes ist bei aller Kühnheit ihres revolutionären Elans, bei der unbeugsamen Entschlossenheit, sogar mit alten Gesin-nungs- und Kampfgenossen zu brechen, sollten sie sich als unfähig erweisen, mit der Revolution Schritt zu halten, Lenins Rede, deren Teile alle gegeneinander abgewogen sind, von tiefem Realismus und untrüglichem Masseninstinkt erfüllt. Und gerade deshalb mußte sie den an der Oberfläche gleitenden Demokraten phantastisch erscheinen.
    Die Bolschewiki sind eine kleine Minderheit in den Sowjets, und Lenin plant die Eroberung der Macht. Ist denn das nicht Abenteurertum? Nicht ein Schatten von Abenteurertum war in der Leninschen Fragestellung. Keinen Augenblick schließt er die Augen vor dem Vorhandensein einer "ehrlichen" Landesverteidigungsstimmung unter der breiten Masse. Ohne in ihr aufzugehen, beabsichtigt er auch nicht, hinter ihrem Rücken zu handeln. "Wir sind keine Scharlatane", wirft er den zu erwartenden Einwänden und Beschuldigungen entgegen, "wir müssen uns nur auf das Bewußtsein der Massen stützen. Und wenn wir sogar gezwungen sein sollten, in der Minderheit zu bleiben - sei's drum. Es lohnt sich, für eine Zeit auf die führende Stellung zu verzichten, man darf sich nicht davor fürchten, in der Minderheit zu bleiben." Sich nicht fürchten, in der Minderheit zu bleiben - selbst allein, wie Liebknecht, gegen 110 - das ist das Leitmotiv

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