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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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der Sprache des Bolschewismus; zumeist, ohne es zu ahnen. Es gab bei den Regimentern nur vereinzelte Bolschewiki, doch die bolschewistischen Losungen drangen immer tiefer ein. Gleichsam von selbst erstanden sie in allen Teilen des Landes. Die liberalen Beobachter sahen darin nichts als Unbildung und Chaos. Die Rjetsch schrieb: "Unsere Heimat verwandelt sich buchstäblich in irgendein Irrenhaus, wo Besessene das Heft und das Kommando in der Hand halten, Menschen aber, die den Verstand nicht verloren haben, treten erschrocken beiseite und drücken sich an die Wände." Mit genau den gleichen Worten haben die "Gemäßigten" aller Revolutionen ihre Seele erleichtert. Die Versöhnlerpresse tröstete sich damit, daß die Soldaten, trotz aller Mißverständnisse, von den Bolschewiki nichts wissen wollten. Indes bildete der unbewußte Bolschewismus der Massen, die Logik der Entwicklung widerspiegelnd, die unverbrüchliche Kraft der Leninschen Partei.
    Der Soldat Pirejko erzählt, bei den Wahlen an der Front seien nach dreitägigen Diskussionen nur Sozialrevolutionäre zum Rätekongreß durchgekommen, die Soldatendeputierten hätten aber trotz der Proteste der Führer gleichzeitig eine Resolution angenommen über die Notwendigkeit, den gutsherrlichen Boden zu enteignen, ohne die Konstituierende Versammlung abzuwarten. "Überhaupt waren die Soldaten in Fragen, die sie begreifen konnten, linker gestimmt als die radikalsten der radikalen Bolschewiki." Dasselbe meinte auch Lenin, als er sagte, die Massen seien "an die hundert Mal linker als wir".
    Der Schreiber einer Motorradwerkstatt irgendwo im Taurischen Gouvernement erzählt, daß die Soldaten häufig nach der Lektüre der bürgerlichen Zeitungen auf die unbekannten Bolschewiki schimpften und gleich danach zu Diskussionen über die Notwendigkeit des Kriegsabbruchs und die Wegnahme des gutsherrlichen Bodens übergingen. Das waren die gleichen Patrioten, die geschworen hatten, Lenin nicht in die Krim zu lassen.
    Die Soldaten der riesigen Hinterlandgarnisonen waren ruhelos. Die große Anhäufung feiernder, ungeduldig die Änderung ihres Schicksals erwartender Menschen erzeugte eine Nervosität, die sich in der ständigen Bereitschaft, ihre Unzufriedenheit auf die Straße zu tragen, in massenweisem Herumfahren in den Straßenbahnen und in epidemischem Knabbern von Sonnenblumenkernen äußerte. Der Soldat mit umgehängtem Mantel und den Schalen von Sonnenblumenkernen auf den Lippen wurde zur verhaßtesten Gestalt der bürgerlichen Presse. Er, den man während des Krieges so grob umschmeichelt und immer nur Held genannt hatte - was nicht hinderte, an der Front den Helden auszupeitschen -, er, den man nach der Februarumwälzung als Befreier verherrlichte, war plötzlich Drückeberger, Verräter, Gewalttäter und deutscher Mietling. Es gab tatsächlich keine Gemeinheit, die die patriotische Presse den russischen Soldaten und Matrosen nicht zugeschrieben hätte.
    Das Exekutivkomitee tat nichts anderes als sich rechtfertigen, gegen Anarchie kämpfen, Exzesse löschen, verängstigte Anfragen und Moralpredigten verschicken. Der Sowjetvorsitzende in Zarizyn - diese Stadt galt als das Nest des "Anar-chobolschewismus" - beantwortete die Frage des Zentrums über die Lage mit dem lapidaren Satz: "Je linker die Garnison wird, um so rechter wird der Bürger." Die Zarizyner Formel ließ sich auf das ganze Land anwenden. Der Soldat wird linker, der Bourgeois rechter.
    Jeden Soldaten, der mutiger als die anderen äußerte, was alle fühlten, schalt man so lange von oben Bolschewik, bis er es schließlich selbst glauben mußte. Von Frieden und Land wandte sich der Gedanke des Soldaten der Frage der Macht zu. Der Widerhall auf verschiedene Losungen des Bolschewismus verwandelte sich in bewußte Sympathie für die bolschewistische Partei. Im Wolynski-Regiment, das sich im April angeschickt hatte, Lenin zu verhaften, schlug die Stimmung zwei Monate später zugunsten der Bolschewiki um. Desgleichen in dem Jäger- und dem Litauer-Regiment. Die lettischen Schützen waren vom Selbstherrschertum ins Leben gerufen worden, um den Haß der Parzellenbauern und Landarbeiter gegen die livländischen Barone auszunutzen. Die Regimenter schlugen sich ausgezeichnet. Aber der Geist der Klassenfeindschaft, auf den sich die Monarchie stützen wollte, bahnte sich eigene Wege. Die lettischen Schützen waren unter den ersten, die mit der Monarchie gebrochen hatten und später mit den Versöhnlern. Schon am 17. Mai

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