Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
zeigte sich jedoch, daß in der Villa, die eine Reihe kultureller Arbeiterorganisationen beherbergte, völlige Ordnung herrschte. Man mußte, und zwar nicht ohne Schmach, den Rückzug antreten. Diese Geschichte hatte aber noch eine weitere Entwicklung.
Am 9. Juni platzte auf dem Kongreß eine Bombe: die Morgenausgabe der Prawda hatte einen Aufruf zur Demonstration für den nächsten Tag gebracht. Tschcheidse, der leicht zu erschrecken pflegte und deshalb andere zu erschrecken geneigt war, verkündete mit Grabesstimme: "Wenn der Kongreß keine Maßnahmen ergreift, wird der morgige Tag verhängnisvoll werden." Die Delegierten horchten unruhig auf.
Der Gedanke, die Petrograder Arbeiter und Soldaten mit dem Kongreß zu konfrontieren, hatte sich durch die ganze Situation von selbst aufgedrängt. Die Massen bestürmten die Bolschewiki. Besonders brodelte die Garnison, die befürchtete, man würde sie im Zusammenhang mit der Offensive zerstückeln und an die Fronten verstreuen. Dazu kam die starke Unzufriedenheit mit der Deklaration der Rechte des Soldaten, die im Vergleich mit dem Befehl Nr. 1 und dem Regime, das sich in der Armee faktisch durchgesetzt hatte, einen großen Schritt rückwärts bedeutete. Die Initiative zur Demonstration ging von der Militärischen Organisation der Bolschewiki aus. Ihre Leiter behaupteten, und wie die Ereignisse zeigen werden, durchaus mit Recht, daß die Soldaten von sich aus auf die Straße gehen würden, falls die Partei die Leitung nicht übernehme. Der schroffe Umschwung der Massenstimmungen war jedoch nicht ohne weiteres zu berechnen, und dies erzeugte ein gewisses Schwanken bei den Bolschewiki selbst. Wolodarski war nicht überzeugt, daß die Arbeiter auf die Straße gehen würden. Es herrschten auch Befürchtungen über den Charakter, den die Demo n-stration annehmen könnte. Die Vertreter der militärischen Organisation erklärten, daß die Soldaten, einen Überfall und eine Abrechnung befürchtend, nicht unbewaffnet auf die Straße gehen wollten. "Welche Formen wird die Demonstration annehmen?" fragte der vorsichtige Tomski und verlangte eine ergänzende Besprechung. Stalin meinte: "Die Gärung unter den Soldaten ist Tatsache; bei den Arbeitern aber herrscht eine so klar ausgesprochene Stimmung nicht", dennoch fand er, daß es notwendig sei, der Regierung Widerstand zu leisten. Der stets eher zum Ausweichen als zum Kampfe neigende Kalinin sprach sich entschieden gegen die Demonstration aus, wobei er sich auf das Fehlen eines zwingenden Vorwandes, besonders bei den Arbeitern, berief: "Die Demonstration wird nur eine erklügelte Sache sein." In der Beratung mit Vertretern der Bezirke erhoben sich am 8. Juni nach einer Reihe vorangegangener Abstimmungen schließlich 131 Hände für die Demonstration, 6 dagegen, 22 enthielten sich der Abstimmung. Die Demonstration wurde auf Sonntag, den 10. Juni, festgesetzt.
Die Vorbereitungsarbeit war bis zum letzten Moment geheim geführt worden, um den Sozialrevolutionären und Menschewiki nicht die Möglichkeit zu verschaffen, eine Gegenagitation zu entfalten. Diese berechtigte Vorsichtsmaßnahme wurde später als Beweis für eine militärische Verschwörung gedeutet. Der Zentralsowjet der Betriebskomitees stimmte dem Beschluß, die Demonstration zu organisieren, zu. "Unter dem Druck Trotzkis und gegen den opponierenden Lu-natscharski", schreibt Jugow, "beschloß das Komitee der "Interrayonisten" ("Meschrayonzy" [1]), an der Demonstration teilzunehmen." Die Vorbereitung wurde mit glühendem Eifer durchgeführt.
Die Kundgebung sollte das Banner der Sowjetmacht erheben. Die Kampflosung lautete: "Nieder mit den zehn Minister-Kapitalisten." Das war der einfachste Ausdruck für die Forderung des Bruches der Koalition mit der Bourgeoisie. Der Zug sollte zum Kadettenkorps, wo der Kongreß tagte, marschieren. Damit wollte man unterstreichen, daß es nicht um den Sturz der Regierung, sondern um einen Druck auf die Sowjetführer gehe.
Freilich wurden bei den Vorberatungen der Bolschewiki auch andere Stimmen laut. So beantragte Smilga, damals ein junges Mitglied des Zentralkomitees, "auf die Besetzung von Post, Telegraphenamt und Waffenlager nicht zu verzichten, falls sich die Ereignisse zu einem Zusammenstoß entwickeln". Ein anderer Teilnehmer der Beratung, Lazis, Mitglied des Petrograder Komitees, trug über die Ablehnung des Antrages Smilga in sein Tagebuch ein "Ich kann mich nicht damit abfinden ... werde mich mit den Genossen Semaschko und Rachja
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