Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
herrschende Dynastie mitten ins Herz."
Schon Robespierre erinnerte die Gesetzgebende Versammlung daran, daß die Opposition des Adels, indem sie die Monarchie geschwächt, die Bourgeoisie und hinterher auch die Volksmassen in Schwung gebracht hatte. Robespierre warnte gleichzeitig, daß die Revolution im übrigen Europa sich nicht so schnell entwickeln werde wie in Frankreich, weil die privilegierten Klassen der anderen Länder, durch das französische Beispiel belehrt, die Initiative der Revolution nicht auf sich nehmen würden. Indem er diese bemerkenswerte Analyse gab, hatte sich Robespierre jedoch mit seiner Vermutung getäuscht, daß der französische Adel durch seine oppositionelle Verirrung dem Adel der anderen Länder ein für allemal eine Lektion erteilt habe, Rußland hat im Jahre 1905 und besonders im Jahre 1917 erneut bewiesen, daß eine gegen Selbstherrschertum und halbe Leibeigenschaft, mithin gegen den Adel gerichtete Revolution bei ihren ersten Schritten eine systemlose, widerspruchsvolle, aber immerhin äußerst wirksame Förderung findet, nicht nur seitens des Durchschnittsadels, sondern auch seiner privilegierten Spitzen, sogar einschließlich der Angehörigen der Dynastie. Diese bemerkenswerte historische Tatsache könnte als Gegensatz zu der Klassentheorie der Gesellschaft erscheinen, in Wirklichkeit jedoch widerspricht sie nur deren vulgärer Auffassung.
Eine Revolution bricht aus, wenn alle Antagonismen der Gesellschaft die höchste Spannung erreicht haben. Das aber gerade macht die Situation sogar für die Klassen der alten Gesellschaft, das heißt für jene, die dem Untergange geweiht sind, unerträglich. Ohne den biologischen Analogien mehr Gewicht beizumessen, als sie es verdienen, ist es dennoch angebracht, daran zu erinnern, daß der Akt der Geburt in einem gewissen Augenblick in gleicher Weise für den Organismus der Mutter wie für den der Frucht unabwendbar wird. In der Opposition der privilegierten Klassen äußert sich die Unvereinbarkeit ihrer traditionellen gesellschaftlichen Lage mit den Bedürfnissen für das Weiterbestehen der Gesellschaft. Der regierenden Bürokratie beginnt alles aus den Händen zu gleiten. Die Aristokratie, die sich im Mittelpunkt des allgemeinen Hasses fühlt, schiebt die Schuld auf die Bürokratie. Diese beschuldigt die Aristokratie, und dann richten sie gemeinsam oder getrennt ihre Unzufriedenheit gegen die monarchische Krönung ihrer Macht.
Der aus dem Dienste in Adelskörperschaften für einige Zeit als Minister herbeigerufene Fürst Schtscherbatow sagte: "Sowohl Samarin wie ich sind ehemalige Gouvernement-Adelsmarschälle. Niemand hat uns bisher als Linke betrachtet, und auch wir betrachten uns nicht als solche. Aber beide können wir eine Lage im Staate nicht begreifen, bei der der Monarch und seine Regierung sich mit der gesamten vernünftigen Öffentlichkeit (von den revolutionären Intrigen lohnt sich nicht zu sprechen) - mit den Adligen, den Kaufleuten, den Städten, den Semstwos, sogar mit der Armee - in radikalem Widerspruch befinden. Wenn man mit unserer Meinung oben nicht rechnen will, ist es unsere Pflicht, abzutreten."
Der Adel sieht die Ursache allen Übels darin, daß die Monarchie blind geworden ist oder die Vernunft verloren hat. Der privilegierte Stand glaubt nicht, daß es überhaupt keine Politik mehr geben kann, die die alte Gesellschaft mit der neuen versöhnt; mit anderen Worten, der Adel kann sich mit seinem Geschick nicht abfinden und verwandelt seine Todesangst in eine Opposition gegen die heiligste Kraft des alten Regimes, das heißt gegen die Monarchie. Die Schärfe und das Unverantwortliche der aristokratischen Opposition erklären sich aus der historischen Verzärtelung der Spitzen des Adels und aus ihrer unerträglichen Furcht vor der Revolution; das Systemlose und Widerspruchsvolle der adeligen Fronde damit, daß es die Opposition einer Klasse ist, die keinen Ausweg mehr hat. Aber wie eine Petroleumlampe vor dem Erlöschen grell aufleuchtet, wenn auch schwelend, so erlebt auch der Adel vor dem Erlöschen ein oppositionelles Aufflackern, das seinen Todfeinden den größten Dienst erweist. Das ist die Dialektik dieses Prozesses, die sich nicht nur mit der Theorie der Klassengesellschaft verträgt, sondern nur von dieser Theorie erklärt werden kann.
Kapitel 6: Die Agonie der Monarchie
Die Dynastie fiel bei der Erschütterung wie eine faule Frucht, noch bevor die Revolution Zeit gehabt hatte, an die Lösung ihrer
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