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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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gekommen, aus eigener Machtvollkommenheit die vermeintliche Ursache alles Unheils aus seiner Mitte hinauszudrängen: den halb irrsinnigen Minister des Innern, Protopopow. Gleichzeitig setzte General Chabalow das geheim von der Regierung vorbereitete Dekret in Kraft, wonach auf Allerhöchsten Befehl über Petrograd der Belagerungszustand verhängt sei. Auf diese Weise wurde auch hier der Versuch unternommen, das Heiße mit dem Kalten zu kombinieren, ein wohl kaum vorbedachter, jedenfalls aber aussichtsloser Versuch. Es gelang nicht einmal, die Plakate mit der Proklamierung des Belagerungszustandes in der Stadt anzukleben: der Stadthauptmann Balk besaß weder Kleister noch Pinsel. Diese Behörden konnten überhaupt nichts mehr zusammenkleistern, denn sie gehörten bereits dem Reiche der Schatten an.
    Der Hauptschatten des letzten zaristischen Ministeriums war der siebzigjährige Fürst Golizyn, der früher irgendwelche wohltätigen Institutionen der Zarin verwaltet hatte und von ihr in der Periode des Krieges und der Revolution auf den Posten eines Regierungschefs erhoben worden war. Wenn die Freunde diesen, nach der Bezeichnung des liberalen Barons Nolde "gutmütigen russischen Herrn, den alten Schwächling", fragten, weshalb er ein so mühevolles Amt auf sich genommen habe, erwiderte Golizyn: "Um eine angenehme Erinnerung mehr zu besitzen." Dieses Ziel hat er jedenfalls nicht erreicht. Über das Befinden der letzten russischen Regierung in jenen Stunden erzählt ein Bericht Rodsjankos: Bei der ersten Nachricht von dem Marsch der Massen zum Mariinski-Palais, wo die Sitzungen des Ministeriums stattfanden, wurden unverzüglich alle Lichter im Gebäude gelöscht. Die Staatslenker wollten nur eines: daß die Revolution sie unbeachtet lassen sollte. Das Gerücht erwies sich jedoch als erfunden, es kam zu keinem Überfall, und als man wieder Licht machte, hockte manch Mitglied der zaristischen Regierung "zu seiner eigenen Verwunderung" unter dem Tisch. Welche Erinnerungen sie dort gesammelt haben mögen, ist nicht festgestellt worden.
    Aber auch Rodsjankos Befinden war offenbar nicht auf der Höhe. Nach langwieriger und vergeblicher telephonischer Suche nach der Regierung klingelte der Dumavorsitzende wieder mal bei Fürst Golizyn an. Dieser meldet sich: "Bitte, sich in keinerlei Angelegenheiten mehr an mich zu wenden, ich habe demissioniert." Auf diesen Bescheid hin ließ sich Rodsjanko, wie sein ihm ergebener Sekretär erzählt, schwer in den Sessel fallen und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen ... "Mein Gott, wie schrecklich! ... Keine Regierung ... Anarchie ... Blut ...", und er weinte leise. Beim Versinken des altersschwachen Gespenstes der zaristischen Macht fühlte sich Rodsjanko unglücklich, verlassen, verwaist. Wie weit war er in dieser Stunde von dem Gedanken entfernt, daß er morgen die Revolution "vertreten" würde!
    Die telephonische Antwort Golizyns ist damit zu erklären, daß der Ministerrat am Abend des 27. endgültig seine Unfähigkeit, mit der entstandenen Lage fertigzuwerden, bekannt und dem Zaren empfohlen hatte, an die Spitze der Regierung eine Person zu stellen, die das allgemeine Vertrauen besitze. Der Zar antwortete Golizyn: "Betreffs Personenwechsel halte ich einen solchen unter den gegebenen Umständen für unzulässig. Nikolaus." Auf welche Umstände wartete er denn noch? Gleichzeitig forderte der Zar, "energischste Maßnahmen" zur Unterdrückung der Meuterei zu treffen. Das war leichter gesagt als getan.
    Am nächsten Tage, dem 28., sinkt schließlich auch der Mut der ungezähmten Zarin. "Zugeständnisse sind notwendig", telegraphiert sie an Nikolaus, "die Streiks dauern an. Viele Truppen sind auf die Seite der Revolution übergegangen. Alice." Es bedurfte des Aufstandes der gesamten Garde, der gesamten Garnison, um die hessische Beschützerin des Selbstherrschertums zu der Einsicht zu bringen, "Zugeständnisse sind notwendig". Jetzt dämmert es auch dem Zaren, daß der "dicke Rodsjanko" ihm keinen Unsinn mitgeteilt hatte. Nikolaus beschließt, zu seiner Familie zu reisen. Möglich, daß die Generale des Hauptquartiers, denen es ein wenig ungemütlich wurde, ihn etwas schoben.
    Der Zarenzug fuhr anfangs ohne Zwischenfall. Wie stets, empfingen ihn Polizeibeamte und Gouverneure. Weitab vom Wirbelsturm der Revolution, im gewohnten Waggon, umgeben vom gewohnten Gefolge, verlor der Zar offenbar wieder das Gefühl der dicht heranrückenden Lösung. Am 28., um 3 Uhr nachmittags, als sein

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