Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
vorher, wenn nicht niederschlagen, so doch mindestens ihr eine ernsthafte Niederlage zufügen. Tatsächlich aber hatte drei Wochen zuvor die Avantgarde der Bourgeoisie eine Niederlage erlitten. Die Revolution dagegen hatte einen Kräftezustrom erfahren. Ihr Ziel war nicht eine bürgerliche Republik, sondern die Republik der Arbeiter und Bauern, und sie brauchte nicht durch das Joch des Vorparlaments hindurchzukriechen, während sie sich immer breiter in den Sowjets entfaltete.
Am 20. September rief das Zentralkomitee der Bolschewiki die bolschewistischen Delegierten der Demokratischen Beratung, die Mitglieder des Zentralkomitees selbst und des Petrograder Komitees zu einer Parteiberatung zusammen. Als Berichterstatter des Zentralkomitees stellte Trotzki die Losung auf - Boykott des Vorparlaments! Der Vorschlag fand entschiedenen Widerstand bei den einen (Kamenjew, Rykow, Rjasanow) und Zustimmung bei den anderen (Swerdlow, Joffe, Stalin). Das in der strittigen Frage in zwei Hälften geteilte Zentralkomitee sah sich gezwungen, entgegen Statuten und Tradition der Partei, die Entscheidung der Beratung zu überlassen. Zwei Referenten, Trotzki und Rykow, sprachen als Vertreter der entgegengesetzten Standpunkte. Es konnte scheinen, und der Mehrheit schien es auch, als trügen die heißen Debatten rein taktischen Charakter. In Wirklichkeit weckte der Streit die Meinungsverschiedenheiten des April wieder auf und bereitete die des Oktober vor. Die Frage war: paßt die Partei ihre Aufgaben der Entwicklung der bürgerlichen Republik an, oder stellt sie sich wirklich die Machteroberung als Ziel. Mit siebenundzwanzig Stimmen gegen fünfzig lehnte die Parteiberatung die Boykottlosung ab. Am 22. September konnte Rjasanow der Demokratischen Beratung im Namen der Partei erklären, die Bolschewiki würden ihre Vertreter ins Vorparlament schicken, um "in dieser neuen Bastion des Versöhnlertums alle Versuche einer neuen Koalition mit der Bourgeoisie zu entlarven". Das klang radikal. Im Wesen aber bedeutete dies, der Politik der revolutionären Tat die Politik oppositioneller Entlarvung zu unterschieben.
Lenins Aprilthesen waren formell von der gesamten Partei akzeptiert worden; aber bei jeder großen Frage schlugen wieder nach außen die Märzstimmungen, noch sehr stark in der oberen Parteischicht, die an vielen Punkten des Landes sich erst jetzt von den Menschewiki zu trennen begann. Lenin konnte in den Streit nur nachträglich eingreifen. Am 23. September schrieb er: "Man muß das Vorparlament boykottieren. Man muß in die Sowjets der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten gehen, in die Gewerkschaften, überhaupt zu den Massen. Man muß sie in den Kampf rufen. Man muß ihnen die richtige und klare Losung geben: die bonapartistische Bande Kerenskis mit dessen verfälschtem Vorparlament davonjagen ... Die Menschewiki und Sozialrevolutionäre haben, sogar nach der Kornilowiade, unser Kompromiß nicht angenommen ... Unbarmherzigen Kampf gegen sie. Unbarmherzig sie aus allen revolutionären Organisationen vertreiben ... Trotzki war für den Boykott. Bravo, Genosse Trotzki! Die Boykottlosung ist in der Fraktion der Bolschewiki, die zur Demokratischen Beratung zusammengekommen war, besiegt worden. Es lebe der Boykott!"
Je tiefer die Frage in die Partei eindrang, um so entschiedener veränderte sich das Kräfteverhältnis zugunsten des Boykotts. Fast in sämtlichen Lokalorganisationen bilden sich Mehrheit und Minderheit. Im Kiewer Komitee zum Beispiel sind die Boykottanhänger mit Ewgenia Bosch an der Spitze anfangs eine schwache Minderheit. Jedoch bereits nach wenigen Tagen wird in der Stadtkonferenz mit erdrückender Mehrheit ein Beschluß angenommen, das Vorparlament zu boykottieren. "Man darf keine Zeit mit Geschwätz und Säen von Illusionen vergeuden." Die Partei eilte, ihre Spitzen zu korrigieren.
Unterdessen war Kerenski, der die welken Prätensionen der Demokratie von sich geworfen, aus allen Kräften bestrebt, vor den Kadetten feste Hand zu zeigen. Am 18. September erteilte er unerwartet einen Befehl zur Auflösung des Zentralkomitees der Kriegsflotte. Die Matrosen antworteten: "Der Befehl zur Auflösung des Zentroflott ist, weil gesetzwidrig, als ungültig zu betrachten und seine sofortige Aufhebung zu fordern." In die Sache mischte sich das Exekutivkomitee ein und lieferte Kerenski einen formellen Vorwand, seine Verfügung nach drei Tagen aufzuheben. In Taschkent ergriff der Sowjet, in einer Mehrheit aus
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