Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
lange, wie die georgischen Sozialdemokraten die Hoffnung nicht aufgegeben hatten, die Revolution im Rahmen der bürgerlichen Demokratie festzuhalten. Je mehr aber die Gefahr des Sieges der vom Bolschewismus geführten Massen in Erscheinung trat, um so mehr lockerte die georgische Sozialdemokratie ihre Beziehungen zu den russischen Versöhnlern und verband sich um so enger mit den reaktionären Elementen Georgiens. Im Augenblick des Sieges der Sowjets werden die georgischen Anhänger des einigen Rußland Verkünder des Separatismus und zeigen den übrigen Völkern Transkaukasiens die gelben Stoßzähne des Chauvinismus.
Die unvermeidliche nationale Maskierung der sozialen Gegensätze, nach der allgemeinen Regel in den Randgebieten ohnehin nicht so stark entwickelt, erklärt zur Genüge, weshalb die Oktoberumwälzung bei den meisten unterdrückten Nationalitäten auf größeren Widerstand stoßen mußte als in Zentralrußland. Dafür aber erschütterte der nationale Kampf an sich grausam das Februarregime und schuf für die Umwälzung im Zentrum eine hinlänglich günstige politische Peripherie.
In jenen Fällen, wo sie sich mit den Klassengegensätzen deckten, erhielten die nationalen Antagonismen besondere Schärfe. Die alte Feindschaft zwischen der lettischen Bauernschaft und den deutschen Baronen stieß zu Beginn des Krieges viele Tausende werktätiger Letten auf den Weg der Kriegsfreiwilligen. Die Schützenregimenter aus lettischen Landarbeitern und Bauern gehörten zu den besten an der Front. Doch traten sie bereits im Mai für die Macht der Sowjets auf. Der Nationalismus erwies sich nur als Hülle eines unreifen Bolschewismus. Ein gleichartiger Prozeß vollzog sich auch in Estland.
In Weißrußland mit seinen polnischen oder polonisierten Gutsbesitzern, seiner jüdischen Stadt- und Kleinstadtbevölkerung und der russischen Beamtenschaft lenkte die doppelt und dreifach unterdrückte Bauernschaft unter Einfluß der nahen Front bereits vor dem Oktober ihre nationale und soziale Empörung in das Flußbett des Bolschewismus. Bei den Wahlen zur Konstituierenden Versammlung wird die erdrückende Masse der weißrussischen Bauern für die Bol-schewiki stimmen.
Alle diese Prozesse, in denen sich erwachte nationale Würde mit sozialer Empörung verband, diese bald zurückdrängend, bald in den Vordergrund schiebend, fanden schärfsten Ausdruck in der Armee, wo fieberhaft nationale Regimenter gebildet wurden, die je nach ihrem Verhalten zu Krieg und Bolschewiki von der Zentralmacht begünstigt, g3-duldet oder verfolgt waren, sich aber im allgemeinen immer feindlicher gegen Petrograd wandten.
Lenin hielt unbeirrt die Hand am "nationalen" Puls der Revolution. In dem berühmten Artikel "Die Krise ist reif" verwies er Ende September beharrlich darauf, daß die nationale Kurie der Demokratischen Beratung "in bezug auf Radikalismus auf den zweiten Platz rückt, nur den Gewerkschaften nachsteht und hinsichtlich des Prozentsatzes der gegen die Koalition abgegebenen Stimmen (vierzig von fünfundfünfzig) die Kurie der Sowjets übertrifft". Das bedeutete: von der großrussischen Bourgeoisie erwarteten die unterdrückten Nationalitäten nichts Gutes mehr. Immer häufiger gingen sie daran, ihre Rechte eigenmächtig zu verwirklichen, stückweise, auf dem Wege revolutionärer Enteignungen.
Auf dem Oktoberkongreß der Burjaten im fernen Werchneudinsk erklärte der Berichterstatter: an der Lage der Fremdvölker "hat die Februarrevolution nichts geändert". Ein solches Fazit zwang, wenn nicht sogleich auf die Seite der Bolschewiki zu treten, so doch mindestens ihnen gegenüber immer freundschaftlichere Neutralität zu wahren.
Der allukrainische Armeekongreß, der während des Petrograder Aufstandes tagte, beschloß, gegen die Forderung der Machtübergabe an die Sowjets in der Ukraine zu kämpfen, lehnte aber gleichzeitig ab, den Aufstand der großrussischen Bolschewiki "als antidemokratische Handlungsweise" zu betrachten, und versprach, alle Mittel anzuwenden, damit Truppen zur Unterdrückung des Aufstandes nicht entsandt werden. Diese Zwiespältigkeit, die am besten das kleinbürgerliche Stadium des nationalen Kampfes charakterisiert, erleichterte die Revolution des Proletariats, die daran war, aller Zwiespältigkeit ein Ende zu machen.
Andererseits verfielen in den Randgebieten jetzt die bürgerlichen Kreise, die stets und unablässig zur Zentralmacht geneigt hatten, in Separatismus, hinter dem in vielen Fällen nicht einmal mehr
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