Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
der Schatten einer nationalen Basis war. Die gestern noch hurrapatriotische Bourgeoisie der Ostseeprovinzen, nach den deutschen Baronen Romanows beste Stütze, trat im Kampf gegen das bolschewistische Rußland und die eigenen Massen unter das Banner des Separatismus. Auf diesem Gebiete entstanden noch wunderlichere Erscheinungen. Am 20. Oktober wurde der Grund gelegt zu einem neuen Staatsgebilde, dem "Südöstlichen Verband der Kosakenheere, der Bergbewohner des Kaukasus und der freien Völkerschaften der Steppen". Die Spitzen des Doner, Kubaner, Tereker und Astrachaner Kosakentums, einst wichtigste Stütze des zaristischen Zentralismus, verwandelten sich innerhalb weniger Monate in eifrige Verfechter der Föderation und vereinigten sich auf diesem Boden mit den Führern der muselmanischen Berg- und Steppenbewohner. Die Scheidewände des föderativen Regimes sollten die Barriere bilden gegen die vom Norden kommende bolschewistische Gefahr. Bevor er jedoch die wichtigen Sammelpunkte des Bürgerkrieges gegen die Bolschewiki schuf, richtete sich der konterrevolutionäre Separatismus unmittelbar gegen die regierende Koalition, die er demoralisierte und schwächte. So zeigte neben den anderen Problemen auch das nationale der Provisorischen Regierung das Medusenhaupt, auf dem sich jedes Haar der März- und Aprilhoffnungen in eine Schlange von Haß und Empörung verwandelt hatte.
Die bolschewistische Partei hat durchaus nicht sogleich nach der Umwälzung in der nationalen Frage jene Position eingenommen, die ihr letzten Endes den Sieg sicherte. Das bezieht sich nicht nur auf die Randgebiete mit schwachen und unerfahrenen Parteiorganisationen, sondern auch auf das Petrograder Zentrum. In den Kriegsjahren war die Partei derart geschwächt, das theoretische und politische Niveau der Kader derart gesunken, daß die offizielle Leitung in der nationalen Frage vor Lenins Ankunft eine äußerst wirre und durch Halbheit gekennzeichnete Position einnahm.
Allerdings vertraten die Bolschewiki der Tradition entsprechend in alter Weise das Recht der Nationen auf Selbstbestimmung. Doch diese Formel wurde in Worten auch von den Menschewiki anerkannt: der Text des Programms war noch immer gemeinsam. Entscheidende Bedeutung hatte aber die Frage der Macht. Indes waren die zeitweiligen Parteiführer völlig unfähig, den unversöhnlichen Antagonismus zu begreifen zwischen den bolschewistischen Parolen in der nationalen wie in der Agrarfrage und der Aufrechterhaltung des bürgerlich-imperialistischen, wenn auch von demokratischen Formen verdeckten Regimes.
Den vulgärsten Ausdruck fand die demokratische Position unter Stalins Feder. Am 25. März versucht Stalin in einem dem Regierungsdekret über Abschaffung nationaler Beschränkungen gewidmeten Artikel, die nationale Frage im historischen Ausmaße zu stellen. "Die soziale Basis der nationalen Unterdrückung", schreibt er, "die sie beseelende Kraft, ist die absterbende Landaristokratie." Darauf, daß die nationale Unterdrückung eine unerhörte Entwicklung in der Epoche des Kapitalismus erreicht und ihren barbarischsten Ausdruck in der Kolonialpolitik gefunden hat, verfällt der demokratische Autor scheinbar überhaupt nicht. "In England", fährt er fort, "wo die Landaristokratie die Macht mit der Bourgeoisie teilt, wo die unbegrenzte Herrschaft dieser Aristokratie längst nicht mehr existiert, - ist der nationale Druck milder, weniger unmenschlich, wenn man natürlich die Tatsache außer acht läßt [?], daß im Verlauf des Krieges, wo die Macht in die Hände der Landlords [!] überging, die nationale Unterdrückung sich verstärkte (Verfolgung der Irländer, Inder)." An der Unterdrückung der Irländer und Inder, stellt sich heraus, sind die Landlords schuld, die wohl in der Person Lloyds Georges dank dem Kriege sich die Macht angeeignet hatten. "... In der Schweiz und Nordamerika", fährt Stalin fort, "wo es einen Landlordismus nicht gibt und nicht gegeben hat [?], wo die Macht sich ungeteilt in den Händen der Bourgeoisie befindet, entwickeln sich die Nationalitäten frei, eine nationale Unterdrückung hat hier, allgemein gesprochen, keinen Platz ..." Der Autor vergißt ganz die Neger- und die Kolonialfrage in den Vereinigten Staaten.
Aus dieser hoffnungslos provinziellen Analyse, die sich in wirrer Gegenüberstellung von Feudalismus und Demokratie erschöpft, ergeben sich rein liberale politische Schlußfolgerungen. "Von der politischen Bühne die feudale Aristokratie absetzen, ihr die
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