Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
Vom Netzwerk:
Tagebuch einzutragen: "Bin betäubt und außer mir über erhaltene Direktiven für eine nicht später als am 20. Oktober bevorstehende Offensive." Die Stäbe, die an nichts mehr glaubten und alles aufgegeben hatten, entwarfen Pläne neuer Operationen. Es gab nicht wenig Generale, die die letzte Rettung erblickten in einer Wiederholung des Kornilowschen Experiments mit Riga in grandiosem Maßstabe: die Armee in einen Kampf verwickeln und versuchen, die Niederlage auf das Haupt der Revolution zu wenden.
    Auf Initiative des Kriegsministers Werchowski wurde beschlossen, die älteren Jahrgänge zu beurlauben. Die Eisenbahnen krachten unter dem Andrang heimkehrender Soldaten. An den überlasteten Waggons brachen die Federn und wurden die Fußböden eingedrückt. Die Stimmung der Zurückbleibenden wird durch all das nicht besser. "Die Schützengräben verfallen", schreibt Budberg. "Die Verbindungsgänge sind überschwemmt; überall Abfall und Exkremente ... Die Soldaten weigern sich entschieden, Aufräumungsarbeiten in den Schützengräben zu verrichten ... Es ist schrecklich, darüber nachzudenken, wohin das führen wird, wenn der Frühling kommt und alles zu faulen und zu verwesen beginnt." Im Zustande erbitterter Passivität sträubten sich die Soldaten durchwegs sogar gegen Schutzimpfungen: das wurde ebenfalls zu einer Form des Kampfes gegen den Krieg.
    Nach vergeblichen Versuchen, die Kampffähigkeit der Armee durch Einschränkung ihrer Zahl zu heben, kam Wer-chowski plötzlich zu der Schlußfolgerung, das Land retten könne nur der Frieden. In einer Privatberatung mit Kadettenführern, die der junge und naive Minister auf seine Seite zu ziehen hoffte, entwickelte Werchowski ein Bild des materiellen und geistigen Zerfalls der Armee: "Alle Versuche, den Krieg fortzusetzen, können die Katastrophe nur näher bringen." Den Kadetten konnte das nicht verborgen bleiben, aber unter dem Schweigen der übrigen zuckte Miljukow verächtlich die Achseln: "Rußlands Würde", "Treue zu den Alliierten ..." Ohne auch nur an eines dieser Worte zu glauben, war der Führer der Bourgeoisie hartnäckig bestrebt, die Revolution unter den Ruinen und Leichen des Krieges zu begraben. Werchowski bewies politischen Mut: Ohne erst die Regierung zu informieren oder zu warnen, trat er am 20. in einer Kommission des Vorparlaments auf mit einer Erklärung über die Notwendigkeit eines sofortigen Friedensschlusses, unabhängig von Zustimmung oder Nichtzustimmung der Alliierten. Wütend wehrten sich alle jene gegen ihn, die ihm in Privatgesprächen zugestimmt hatten. Die patriotische Presse schrieb, der Kriegsminister "hat sich auf den Wagentritt des Genossen Trotzki geschwungen". Burzew spielte auf das deutsche Gold an. Werchowski wurde beurlaubt. Unter vier Augen sagten sich die Patrioten: im Grunde hat er recht. Budberg wahrte Vorsicht sogar in seinem Tagebuch: "Vom Standpunkt der Treue zum gegebenen Wort", schrieb er, "ist der Vorschlag selbstverständlich hinterhältig, dagegen aber vom Standpunkte Rußlands egoistischer Interessen ist es vielleicht das einzige, was Hoffnung auf einen rettenden Ausweg bietet." Gleichzeitig beichtet der Baron seinen Neid auf die deutschen Generale, denen "das Schicksal das Glück beschert, Schöpfer von Siegen zu sein". Er sah nicht voraus, daß die Reihe bald auch an die deutschen Generale kommen sollte. Diese Menschen vermochten überhaupt nichts vorauszusehen, auch nicht die Klügsten unter ihnen. Die Bolschewiki sahen vieles voraus, und das war ihre Stärke.
    Der Auszug aus dem Vorparlament sprengte in den Augen des Volkes die letzten Brücken, die die Partei des Aufstandes mit der offiziellen Gesellschaft verbanden. Mit neuer Energie - die Nähe des Zieles verdoppelt die Kräfte - gingen die Bolschewiki an die Agitation, die die Gegner Demagogie nannten, weil sie das auf die Plätze hinaustrug, was man sonst in Verhandlungszimmern und Kanzleien verbarg. Die Überzeugungskraft dieser unermüdlichen Predigt ergab sich daraus, daß die Bolschewiki den Entwicklungsgang klar begriffen, ihm ihre Politik unterordneten, die Massen nicht fürchteten, unerschütterlich an ihr Recht und ihren Sieg glaubten. Das Volk wurde nicht müde, sie anzuhören. Die Massen hatten das Bedürfnis, zusammenzuhalten, ein jeder wollte sich an den anderen überprüfen, und alle beobachteten immer aufmerksamer und gespannter, wie sich der gleiche Gedanke mit all seinen verschiedenen Schattierungen und Strichen in ihrem Bewußtsein wälzte.

Weitere Kostenlose Bücher