Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
Vom Netzwerk:
dazu, dauernde Interessen im Namen von Augenblickserfolgen preiszugeben. Sinowjews agitatorische Feinfühligkeit machte ihn zu einem äußerst wertvollen Berater, wo es um konjunkturmäßige politische Bewertungen, aber nicht um Tieferes ging. In Parteiversammlungen konnte er überzeugen, gewinnen, bezaubern, kam er mit einer fertigen politischen, in Massenmeetings überprüften, gleichsam von Hoffnungen und Haß der Arbeiter und Soldaten gesättigten Idee. Andererseits besaß Sinowjew die Fähigkeit, in feindlicher Versammlung, sogar im damaligen Exekutivkomitee, dem extremsten und aufwühlendsten Gedanken nebelhafte, einschmeichelnde Form zu verleihen und in die Köpfe jener einzudringen, die ihm mit vorgefaßtem Mißtrauen begegne-ten. Um solche unschätzbare Resultate zu erzielen, genügte ihm das bloße Bewußtsein seines Rechtes nicht: er brauchte die beruhigende Gewißheit, daß die politische Verantwortung durch eine sichere und feste Hand von ihm genommen war. Diese Gewißheit pflegte ihm Lenin zu geben. Mit einer fertigen strategischen Formel bewaffnet, die den Kern der Frage aufdeckte, füllte sie Sinowjew treffend und feinfühlig mit frischen, eben erst auf der Straße, in der Fabrik oder Kaserne aufgegriffenen Rufen, Protesten, Forderungen. In solchen Momenten war er ein idealer Vermittlungsmechanismus zwischen Lenin und der Masse, teils auch zwischen der Masse und Lenin. Seinem Lehrer folgte Sinowjew immer, mit Ausnahme weniger Fälle; doch die Stunde der Meinungsverschiedenheiten pflegte gerade dann einzutreten, wenn sich das Schicksal der Partei, der Klasse, des Landes entschied. Dem Agitator der Revolution fehlte revolutionärer Charakter. Sofern es um die Gewinnung von Köpfen und Seelen ging, blieb Sinowjew unermüdlicher Kämpfer. Doch verlor er sofort die Kampfsicherheit, war er von Angesicht zu Angesicht vor die Notwendigkeit einer Tat gestellt. Da prallte er vor der Masse zurück, wie auch vor Lenin, reagierte nur auf die Stimme der Unentschlossenheit, griff Zweifel auf, sah nur Hindernisse, und seine einschmeichelnde, fast weibliche Stimme verlor die Überzeugungskraft und verriet innere Schwäche. Vor den Mauern des Taurischen Palais in den Julitagen war Sinowjew äußerst aktiv, findig und stark. Er steigerte bis zu den höchsten Noten die Erregung der Massen, - nicht um zu entscheidenden Taten aufzurufen, sondern im Gegenteil, um davon abzuhalten. Das entsprach dem Augenblick und der Politik der Partei. Sinowjew war da völlig in seinem Element.
    Die Schlacht auf dem Litejny brachte in die Entwicklung der Demonstration einen schroffen Umschwung. Niemand betrachtete mehr von Fenstern und Balkonen aus den Zug. Das solidere Publikum verließ, die Bahnhöfe belagernd, die Stadt. Der Straßenkampf verwandelte sich in vereinzelte Zusammenstöße ohne bestimmte Ziele. In den Nachtstunden gab es Handgemenge zwischen Demonstranten und Patrioten, regellose Entwaffnungen, Wandern der Gewehre von Hand zu Hand. Gruppen von Soldaten außer Ordnung geratener Regimenter gingen getrennt vor. "Dunkle Elemente und Provokateure machten sich an sie heran und ermunterten sie zu anarchischen Taten", fügt Podwojski hinzu. Auf der Suche nach den Schuldigen der Schießerei aus den Häusern nahmen Matrosen- und Soldatengruppen allgemeine Haussuchungen vor. Unter dem Vorwand von Haussuchungen brachen hie und da Plünderungen aus. Andererseits begannen auch Pogromhandlungen. Krämer stürzten sich in jenen Stadtteilen, wo sie sich sicher fühlten, wutentbrannt auf Arbeiter und verprügelten sie erbarmungslos. "Unter Rufen: "Schlag die Juden und die Bolschewiki! Ins Wasser mit ihnen!"", erzählt Afanassjew, ein Arbeiter der Fabrik Nowi Lessner, "stürzte sich auf uns eine Menge und verprügelte uns gehörig." Eines der Opfer starb im Krankenhaus, den verprügelten und blutenden Afanassjew selbst zogen Matrosen aus dem Jekaterininski-Kanal heraus ...
    Zusammenstöße, Opfer, Erfolglosigkeit des Kampfes und die Ungreifbarkeit seines praktischen Zieles, all das erschöpfte die Bewegung. Das Zentralkomitee der Bolschewiki beschloß, die Arbeiter und Soldaten zum Abbruch der Demonstration aufzurufen. Jetzt fand dieser, sofort dem Exekutivkomitee zur Kenntnis gebrachte Aufruf fast keinen Widerstand bei den unteren Schichten. Die Massen fluteten in die Vorortviertel zurück und dachten nicht mehr daran, den Kampf am nächsten Tage wieder aufzunehmen. Sie fühlten nun, daß es sich mit der Frage der Sowjetmacht viel

Weitere Kostenlose Bücher